Caritas-Schärmer: "Müssen den Staat nach Corona neu denken"
Ein neues Bewusstsein von zivilgesellschaftlichem Engagement und sogar "einen neuen Gesellschaftsvertrag" hält der Tiroler Caritas-Direktor Georg Schärmer für notwendig, um die Corona-Krise nachhaltig zu bewältigen. Die Politik habe auf die Pandemie unter großen Druck mit Hilfspaketen nach dem Motto "Speed kills" reagiert, die aber keine langfristige Lösung seien. "Wir dürfen jetzt nicht in eine Heftpflaster-Mentalität für die Wundbehandlung übergehen", der systemerhaltende Sozial- und Gesundheitsbereich brauche "verbindliche und nachhaltige Budgets", erklärte der langjährige Caritas-Vertreter in der "Tiroler Tageszeitung" (30.6.). "Wir müssen den Staat insgesamt neu denken: zwischen Steuerleistung, Erwerbsarbeit und Gemeinwohlarbeit."
Schärmers Ideen, wie dies konkretisiert werden sollte: "An einem Zivildienst für alle Teile der Bevölkerung wird kein Weg vorbeiführen." Dieser sollte nicht nur im Sozialbereich angesiedelt sein, sondern auch die Pflege der Kulturlandschaft in Ergänzung zu den zunehmend überforderten Bauern umfassen, weiters gehörten Eltern "von sündteuren Nachhilfestunden befreit". Jedes Mitglied der Gesellschaft werde Gemeinwohlzeit aufbringen müssen. "Jene, die es sich leisten können, sollen sich davon freikaufen können. Mit diesen freigekauften Stunden könnten aber wiederum Arbeitslose angestellt werden", schlug der Caritas-Direktor vor.
Da die soziale Krise nicht so schnell zu beheben sein werde, brauche es auch neue Formen sozialer Absicherung deren Opfer. "Wir müssen den Mut haben, uns einzugestehen, dass viele dieser Menschen keine Arbeit mehr bekommen werden", sagte Schärmer. "Da wird man ein Fass auftun müssen, das die Politik nicht gerne hört: das Grundeinkommen für alle", das freilich nicht bedingungslos sein solle. "Wer Menschen ein Grundeinkommen vorenthält, ist eigentlich der größte Wirtschaftsfeind", so der Caritas-Direktor wörtlich. "Wenn die Armen nichts haben, hat die Wirtschaft erst recht nichts."
Endlich anzugehen sei auch das Langzeitproblem Pflege, wo sich in der Krise die "größte Schwäche" offenbart habe. Das Ausbleiben der 24-Stunden-Pflegerinnen während des Lockdowns habe "zu einer brutalen Überforderung der pflegenden Angehörigen geführt", blickte Schärmer zurück. Personal-Sonderzüge aus Rumänien könnten hier keine Lösung sein. "Die Krise muss uns lehren, die Pflege neu zu denken. Und deren Finanzierung." Da Social Distancing "kein Zukunftsmodell" sei, werde auch an einer Impfpflicht "kein Weg vorbeiführen".
Krise als Anstoß für neue Entwicklungen
Zum Verteilen von Milliarden durch die Regierung meinte Schärmer, Geld allein führe aus keiner Krise. "Die Hilfspakete sind wichtig. Ob sie alle sinnvoll sind, sei dahingestellt." Als seit 22 Jahren tätiger Caritas-Direktor habe er immer wieder Krisen durch Tsunamis oder Hunger erlebt. Solche Katastrophen seien "immer auch ein Anschub für Entwicklungen und eine neue Humanität", begründete Schärmer seinen Optimismus, was ganz neue Weichenstellungen betrifft. "Das Wir ist immer größer als das Ich", nahm er Bezug auf den Caritas-Slogan. "Das Lösen von Problemen im Miteinander war und ist ein Evolutionstreiber."
Sozialeinrichtungen wie die Caritas brauchen laut dem Direktor eine "neue Radikalität" gegenüber den Kostenträgern Land und Bund: "Weg von der Bittstellermentalität." Die Caritas sei nicht nur soziale Dienstleisterin, sondern beschäftige auch Tausende Menschen in Tirol. "Wir halten auch den wirtschaftlichen Fluss im Land aufrecht. Wir sind systemerhaltend", zeigte sich Schärmer selbstbewusst. "Wenn wir auch nur einen Tag aussetzen würden, wäre Chaos im Land."
Quelle: kathpress