Lackner: Meine Aufgabe ist es, Dinge in Einklang zu bringen
Einen ähnlichen Marathon, wie er ihn früher im Laufschritt absolvierte, hat Erzbischof Franz Lackner nach seiner Wahl zum neuen Bischofskonferenz-Vorsitzenden bei den Interviews mit österreichischen Tageszeitungen zurückgelegt: In den Sonntagsausgaben von "Krone", "Presse", "Kurier", "Kleine Zeitung" und "Salzburger Nachrichten" (SN) legte er dar, wie er seine Aufgabe als neue offizielle Stimme der katholischen Kirche in Österreich versteht und anlegen will. Ausführlich bezog er Stellung zur Frage nach den Kirchenaustritten und zu Anliegen in Sachen Flüchtlingspolitik und gab auch Einblicke in entscheidende Momente seiner Berufungsgeschichte.
Er empfinde Dankbarkeit, an die Spitze der Bischofskonferenz gewählt worden zu sein, sagte Lackner der SN. Als "Dirigent der Kirche" sehe er sich jedoch nicht, vielmehr wolle er "genau hinhören, Melodien aufnehmen, die gesungen und gespielt werden. Ich sammle alles und versuche, es in Einklang zu bringen", ergänzte er in der "Krone". Wo es große Spannungen gebe, wolle er neutral sein und "so offen wie möglich an die Sache heranzugehen". Dies sehe er jedoch als eine Entlastung - "denn Parteilichkeit ist anstrengender als Unparteilichkeit".
Er komme mit einer "neuen Offenheit" in die neue Funktion, bekräftigte Lackner auch in der "Presse". "Ich will mich trotz meiner langjährigen Erfahrungen und den Meinungen, die ich mir gebildet habe, einem Hörprozess aussetzen und mich neu prägen lassen." Das gelte auch für den im kommenden Jahr anstehenden Ad-limina-Besuch der österreichischen Bischöfe in Rom, für welchen er für eine "intensive" Vorbereitung der ganzen Ortskirche in den bestehenden Gremien und Institutionen eintreten wolle. "Ich will mich frei machen von einer Mentalität des Eh-schon-Wissens, ich will immer wieder lernen, neu hören", so der Erzbischof.
Behutsame Lösungen bei heißen Eisen
Dieses "genaue Zuhören" sei wichtig angesichts der Fragen der Menschen, darunter auch die sogenannten "heißen Eisen" Frauenweihe und Zölibat: "Vielleicht gibt es aber Antworten, an die wir im Moment gar nicht denken", sagte Lackner im "Kurier". Er traue hier Papst Franziskus vieles zu und sehe den Pontifex als einen "wirklichen Propheten unserer Zeit, der sie sehr gut wahrnimmt, der handelt und sich nicht von Widerstand abhalten lässt". Um keine Brüche hervorzurufen, brauche die Kirche als lebendiger Organismus jedoch "behutsame" Lösungen. Er selbst wolle nicht zum Neinsager mutieren, aber auch ebensowenig "Hoffnungen wecken, die ich dann nicht erfüllen kann".
Sehr persönliche Einblicke gewährte der Erzbischof den SN zum Thema Zölibat. Seine sehr bewusst gefällte Entscheidung sei ihm in den ersten Jahren "ein großes Opfer gewesen", und er wisse, "was schmachten heißt und was kämpfen heißt, auf Biegen und Brechen". Diese Erfahrung sei ihm jedoch wertvoll geworden, sagte Lackner. Das zölibatäre Priestertum werde seiner Ansicht nach "der glühende Kern" in der katholischen Kirche bleiben. "Rundherum" seien auch andere Formen vorstellbar, "dass der Priester voll und ganz ins Volk eingegliedert ist, allerdings nicht".
Immer sei das Priestertum "mit einem Mangel behaftet" und man müsse auch mit unerfüllten Wünschen leben, so Lackners Überzeugung bei diesem Thema. "Das Leben erfüllt nicht alle Wünsche. Auch der Glaube erfüllt nicht alle Wünsche. Wenn wir ein Christentum verkünden, wo alles klar ist, dann sind wir nicht mehr auf der Spur Jesu." Der Erzbischof verwies hier auf ein Lied Frank Sinatras: "The best is yet to come. Das Beste kommt noch."
Mit weniger zufrieden sein
Ernsthafte Sorgen hege er, wenn der Glaube verloren geht, sagte der neue Bischofskonferenz-Vorsitzende der "Krone": "Wenn das Christentum, das doch eine so menschenfreundliche Religion ist, geschwächt wird, dann ist das schade." Die Corona-Krise habe sich in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich ausgewirkt: Sie habe den Glauben "bei manchen verstärkt, bei anderen jedoch geschwächt", gebe es doch "keine zwingende Richtung von der Not zum Beten". Jedenfalls aber ist für Lackner die Pandemie ein "Ernstfall des Glaubens".
Gelernt habe die Kirche in dieser Zeit, war im "Kurier" zu lesen, dass nichts selbstverständlich sei: "Wir haben uns daran gewöhnt, immer aus dem Vollen schöpfen zu können, auch in Glaubensdingen. Dem ist nicht so - man muss auch mit weniger zufrieden sein. Es gibt den schönen Satz: Gott will mit weniger mehr machen. Wir brauchen so etwas wie eine theologische Nachhaltigkeit." Dazu gehöre auch, mehr als bisher "die Gottesfrage radikal zu stellen: Wo lässt sich Gott in unserer Wirklichkeit finden?" Gegenüber "vorschnellen Antworten", die den Glauben neu entfachen sollten, sei er aber vorsichtig, betonte Lackner, der schon in seiner ersten Stellungnahme nach der Wahl zu einer "neuen Nachdenklichkeit" aufgerufen hatte.
Das Problem der hohen Kirchenaustrittszahlen hatte der Erzbischof im vergangenen Jahr damit kommentiert, die Kirche habe ein "annus horribilis", ein schreckliches Jahr, erlebt. Im "Krone"-Interview ergänzte er nun, die Austritte würden momentan zwar steigen, dann aber wohl auch wieder sinken. Er bedauere jeden Austritt sehr, es sei wichtig, "sich um jeden Ausgetretenen zu bemühen". Nötig sei dafür eine "hohe Glaubwürdigkeit", und zwar "von jedem Einzelnen und von der Institution Kirche".
"Abschottung keine Lösung"
Österreich dürfe nicht sagen, es sei vom Schicksal von rund 80 Millionen Flüchtlingen nicht betroffen, betonte Lackner weiter. Abschottung sei keine Lösung, ließen sich Konflikte doch "nicht auf ewig verlängern" und seien "Fragen, die Antworten brauchen", so der Erzbischof, der sich dafür aussprach, "die besten Kräfte zusammenzuholen und die Zukunft zu gestalten". Er halte die Aufnahme von Flüchtlingen für angebracht und werde dies auch gegenüber Bundeskanzler Sebastian Kurz bei seinem Antrittsbesuch als eine "große Sorge, die uns bewegt" zum Ausdruck bringen. "Irgendwann wird er gefragt werden 'Warum haben Sie nichts getan?' Genauso, wie ich irgendwann gefragt werden würde: 'Warum haben Sie nichts gesagt?'"
Kirchen müssten ihre Anliegen immer wieder vorbringen, müssten mahnen, selbst mit gutem Beispiel vorangehen und Angebote machen, sollten aber niemals drohen, so Lackner. Das Gespräch mit der Bundespolitik müsse er jedoch erst lernen. Er selbst wolle "immer eine Stimme für die Armen sein", gut vorbereitet sein und "keine Stehsätze produzieren".
Gott eine Chance geben
Die Lebenswende, bei der sich Lackner einst zur Aufgabe des Elektriker- und Soldatenberufs und für die geistliche Laufbahn entschieden hatte, war in mehreren Interviews Thema. Zunächst habe er erkannt, dass der ergriffene Elektriker-Lehrberuf nicht das Seine war, als es bei der Firma wirtschaftlich schlecht lief und er arbeitslos wurde, sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende der "Krone". Darauf ging er als UNO-Soldat nach Zypern, wo man "viel Geld verdienen" konnte. In dieser Zeit sei seine Beziehung zum Glauben nur lose gewesen.
Auf Zypern habe er dann aber, stationiert "zwischen türkischen und griechischen Kanonen" in der Pufferzone, "viel Zeit zum Nachdenken" gehabt und mit dem Bibellesen begonnen, besonders wenn er nachts allein auf Wache gehen musste und dabei manchmal auch Angst empfand, hieß es in der "Kleinen Zeitung". Bei der Stelle im Matthäus-Evangelium "Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid" sei ihm dann gewesen, "als ob Gott vorübergegangen ist. So etwas habe ich nie mehr in meinem Leben in dieser Intensität erlebt", bekannte der Erzbischof.
Ein Militärpfarrer habe ihm auf seine Frage "Was muss ich tun?" geraten, er solle Gott in seinem Leben "eine Chance geben". Der Entschluss, selbst Priester zu werden, habe sich dann aber erst bei seinem zweiten Zypern-Aufenthalt gefestigt. Nach dem dafür nötigen nochmaligen Besuch des Gymnasiums sei er in Assisi gewesen gemeinsam mit einem Kollegen namens Franz. Beide beschlossen, begeistert vom Ort und vom heiligen Franziskus, bei einem Eintritt in den Franziskanerorden "die Vornamen zu tauschen" - womit Lackner dann 1984 Ernst machte.
Wanderer wie Franz von Assisi
Er habe diese Entscheidung nie bereut und sei heute noch fasziniert vom Vorhaben des Heiligen aus Assisi, der Spur Jesu nachzufolgen, sagte der Erzbischof rückblickend; auch sehe er sich wie Franziskus als einen "Wanderer", angesichts der schon so vielen Lebensstationen, an denen er mitunter - wie etwa in Rom, wo Lackner u.a. an der Franziskanerhochschule lehrte - gerne geblieben wäre. Er denke allerdings, bekannte Lackner, dass er jetzt schon "genug gewandert" sei: Ein Neuanfang in Wien als Nachfolger von Christoph Schönborn auch als Wiener Erzbischof sei für ihn kein Thema, sagte er auf die von mehreren Journalisten gestellte Frage nach einer denkbaren weiteren Aufgabe.
Mit Blick auf seine nunmehrige Doppelfunktion werde es wohl so sein, dass sein Arbeitspensum in Salzburg neu überdacht werden müsse, erklärte Lackner im "Presse"-Interview. "Ich werde weniger Termine in Salzburg wahrnehmen können, habe aber zum Glück einen Weihbischof. Ich werde ihm in Teilung des bischöflichen Charismas Dinge übertragen." Dass er als Kopf der Bischofskonferenz nicht in Wien sei, habe auch seine Vorteile: "Ich finde die Distanz ist etwas Gutes, dass ich von Salzburg aus in gewisser Weise ganz Österreich überblicke. Alle wesentlichen Dinge, Glaube, Liebe, brauchen Nähe und Distanz."
Quelle: kathpress