Flüchtlingspolitik: Caritas fordert dreistufigen Aktionsplan
Zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingssituation, die knapp 80 Millionen Menschen betrifft, ruft die Caritas die EU und Österreich zu einem dreistufigen humanitären Aktionsplan auf. Damit sich Szenen von 2015 nicht wiederholten, müsse es "mehr Hilfe vor Ort, eine europäische Lösung im Umgang mit schutzsuchenden Menschen und einen stärkeren Beitrag Österreichs dazu" geben, forderte Caritas-Präsident Michael Landau am Freitag anlässlich des Weltflüchtlingstages (20. Juni). "Die Corona-Krise hat die Not der Menschen aus der Öffentlichkeit verdrängt, doch diese Not ist da und wir sollten einen aktiven Beitrag leisten, um sie zu lindern", so Landau.
Waren Kürzungen beim World Food Programme maßgeblicher Grund für die große Fluchtbewegung ab 2015, so müsse Europa nun verstärkt Fluchtursachen bekämpfen und Hilfe vor Ort forcieren, betonte Landau. Auch wenn Österreich hier zuletzt mehr Mittel zur Verfügung gestellt habe, gebe es "noch Luft nach oben", verwies der Caritas-Präsident insbesondere auf den Auslandskatastrophenfonds und die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, die "deutlich und dauerhaft" erhöht werden müssten.
Als zweiten Schritt erhofft Landau Österreichs "aktive und konstruktive Mitarbeit an einem neuen europäischen Pakt zu Asyl und Migration", welchen die EU-Kommission demnächst präsentieren wolle. Unter deutscher Ratspräsidentschaft könnte der Alpenrepublik als Mittlerin zwischen Ost und West eine wichtige Rolle für das Zustandekommen einer "europäischen Lösung" zukommen, welche sowohl geordnete Verhältnisse an den EU-Außengrenzen als auch Schutz für Schutzbedürftige ermögliche. Landau: "Wir dürfen nicht nur Grenzen, wir müssen auch Menschen schützen."
Schließlich sprach sich der Präsident der Caritas auf Österreich- wie auch Europaebene für eine rasche Evakuierung von Familien mit Kindern sowie Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf aus den Flüchtlingslagern der Ägäis-Inseln aus, wo die Lage "dramatisch" sei. Humanitäre Hilfe sei hier dringend nötig - auch durch Österreich. Die EU-Staaten sollten dazu wie bereits in der Vergangenheit humanitäre Aufnahmeprogramme (Resettlement bzw. Relocation) starten. An drei derartigen Aktionen zwischen 2013 und 2018 hat Österreich bislang 1.250 syrische Flüchtlinge aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien auf sicherem und legalem Weg ins Land geholt.
Menschenrechtswidrige Lage in der Ägäis
Auf die Dringlichkeit des Einschreitens durch Europa und auch Österreich hatte am Donnerstagabend der Wiener Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner bei einer Zoom-Pressekonferenz hingewiesen. Was sich derzeit auf den griechischen Inseln abspiele, sei eine "politisch akzeptierte oder sogar gewollte humanitäre Krise", sagte Schwertner. Man wolle offenbar "Bilder erzeugen und Menschen in Not mit kleinen Kindern in Geiselhaft nehmen im Glauben, dadurch andere abschrecken zu können. Das gelingt jedoch nicht", so der Generalsekretär, der im März das größte europäische Flüchtlingscamp, Moria, besucht hatte. Hilfe vor Ort sei "Gebot der Stunde".
Das in Griechenlands Flüchtlingslagern derzeit keine humanitären Mindeststandards gelten, schilderte bei der Pressekonferenz die auf Lesbos lebende Journalistin Franziska Grillmeier. In Moria lebten derzeit 16.000 Menschen, "eingepfercht" auf engstem Raum in Notbehausungen, mit einer schon 13 Wochen langen Ausgangssperre und derzeit um die 30 Grad Lufttemperatur. Weder die Ärzte und Apotheken noch Duschen reichten aus, humanitäre Hilfe werde durch die gereizte Stimmung in Griechenland immer mehr kriminalisiert, wodurch viele Helfer ihren Dienst beenden müssten. Die Menschen seien zunehmend auf sich allein gestellt und Gewalttaten häuften sich, weshalb viele mit Messern unterwegs seien und sogar damit schliefen.
Von dem von der EU für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellten Geldern merke man vor Ort wenig, der Großteil sei augenscheinlich in den Grenzschutz geflossen, befand Grillmeier. Sie selbst sei bereits Augenzeugin von illegalen "Pushbacks" geworden, bei denen von der Türkei übersetzende Flüchtlingsboote durch EU-Grenzbeamten an der Ankunft auf den griechischen Inseln gehindert oder zur Rückkehr gezwungen werden. Eindeutig würden hier die Grundrechte der Asylsuchenden verletzt, so der Eindruck der Journalistin.
Knaus: "Pingpongspiel beenden"
Vor einer sich verschlimmernden Situation warnte bei der Pressekonferenz der Migrationsexperte Gerald Knaus von der European Stability Initiative (ESI). Der EU-Türkei-Deal gelte seit 5. März de facto nicht mehr, was in den kommenden Monaten zu einem "Pingpongspiel mit Migranten und Flüchtlingen" führen werde. Dass die humanitäre Situation für diese Gruppe in Griechenland schon jetzt "schlimmer als in Afghanistan" sei, bezeichnete der Experte als bewusste Abschreckungsstrategie Europas. Mit den bald zu erwartenden Fotos und Medienberichten des Leides müsse sich die EU jedoch auch auf internationale Anschuldigungen gefasst machen.
Wolle man keinen Zusammenbruch der Genfer Flüchtlingskonvention riskieren, sei ein neuer Flüchtlingsdeal zwischen der EU, Griechenland und Ankara dringend erforderlich, so auch die Einschätzung von Knaus. Werde auf den Inseln mit Unterstützung der Asylbehörden der EU-Länder ein "schnelles und faires Asylverfahren" binnen Wochen etabliert und sichere zumindest eine "Gruppe von Staaten" weitere Aufnahme von "zumindest 20.000 Menschen" auf, könnte damit Griechenland das Gefühl von Sicherheit zurückgegeben und eine Entspannung der Situation auf den Inseln möglich werden. Die im Juli startende deutsche Ratspräsidentschaft gelte es dafür zu nutzen.
Laut einem aktuellen UNO-Bericht gibt es derzeit 79,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene - mehr als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Syrien, Palästina, Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar, wobei über 45 Millionen als Binnenflüchtlinge weiter im eigenen Land leben. Den Eindruck, die Flüchtlingssituation sei insgesamt nicht bewältigbar, wies Knaus jedoch klar zurück. Die EU mit ihren 460 Millionen Einwohnern könne mit Dimensionen von 100.000 Flüchtlingen, die 2019 das Mittelmeer überquerten, sehr wohl zurechtkommen. Die Grundbereitschaft dazu gebe es: "Die Menschen wollen eine Politik, die Empathie mit Kontrolle verbindet - und dafür können wir Lösungen finden", so Knaus.
Konkretes Leid lindern und Perspektive geben
Was die Caritas und andere Hilfswerke derzeit für Geflüchtete leisten, sei "Symptombekämpfung, die aber für betroffene Menschen einen konkreten Unterschied macht", sagte Schwertner, der die weiter große Spendenbereitschaft der Bevölkerung lobte. Insgesamt 25,67 Mio. Euro konnte die Caritas Österreich laut einer Aussendung bisher für humanitäre Hilfe in der Syrienkrise aufwenden. 180.000 Menschen sei vor Ort geholfen worden, in den Anfangsjahren vor allem durch akute Nothilfe, mittlerweile verstärkt durch regionale Bildungsprogramme und psychologische Betreuung für insgesamt 10.000 Kinder und Jugendliche im Libanon sowie in Jordanien und Syrien. Besonders vulnerable Familien erhalten finanzielle Hilfen zur Deckung der Grundbedürfnisse.
Auf den Flüchtlingslagern in Lesbos und Chios werden aus Österreich Projekte der Caritas Hellas für Hygienepakete und medizinische Versorgung sowie auf Samos ein mit Ärzte ohne Grenzen gestartetes Trinkwasser- und Hygieneprojekt unterstützt. In Athen führt die Caritas das Schulungs- und Sozialzentrum Kipseli, zudem wird gemeinsam mit Partnerorganisationen 26.000 Flüchtlingen auf dem griechischen Festland Schutz und Unterkunft ermöglicht.
Weitere von der Caritas Österreich geförderte Flüchtlingsprojekte gibt es entlang der Balkanroute in Serbien, Bosnien und Herzegowina, wo Geflüchtete Hygieneprodukte, Masken und Desinfektionsmittel erhalten und einen Wäschedienst in Anspruch nehmen können. In Bosnien und Herzegowina werden die Kosten für die Unterkunft, Strom und Wasser, sowie die Hygiene- und Lebensmittelversorgung von 1.500 Personen sichergestellt, in Serbien Flüchtende mit psychosozialer Betreuung und Bildungsaktivitäten unterstützt.
(Caritas Spendenkonto: BAWAG PSK IBAN: AT92 6000 0000 0770 0004, Kennwort: Flüchtlingshilfe, www.caritas.at/spenden-helfen/spenden/fluechtlingshilfe)
Quelle: kathpress