Experte: Auf Pandemie mit Empathie statt Autoritarismus antworten
In der jetzigen Phase der Corona-Krise braucht es "ein Abrücken von der biologistischen Verengung". Wie Rainald Tippow, Leiter der "PfarrCaritas und Nächstenhilfe der Caritas" der Erzdiözese Wien, im Blog "theocare.network" festhielt, dürfe die Antwort auf die "Angst vor dem Tod", der in den ersten Wochen der Pandemie so viel untergeordnet wurde, nicht Autoritarismus heißen, sondern Empathie, Solidarität und Gemeinwohlstreben. Obwohl Österreich "gut durch die unmittelbare Pandemie gekommen" sei, äußerte der Caritas-Verantwortliche gemischte Gefühle zum bisherigen intransparenten und "autoritär verfügtem" Krisenmanagement der türkisgrünen Regierung.
Die schwerwiegenden psychosozialen Folgen der Krise hätten bisher kaum Beachtung gefunden. So sei es z.B. in den Senioreneinrichtungen der Caritas zu "Dramen" gekommen, berichtete Tippow. Ängstlichkeit, Depressivität, Verzweiflung, Wut, Stress, posttraumatische Belastungen, Trostlosigkeit, soziale Isolation und Einsamkeit - von all solchen Folgen der Quarantänemaßnahmen sei in den Heimen berichtet worden.
Gesundheit ist ebenso wie Sicherheit und natürlich menschliches Leben "ein hohes Gut, keine Frage". Das höhere Gut aus christlicher Perspektive sei jedoch die Würde des Menschen, betonte der Caritas-Bereichsleiter. Deren Basis gerate ins Rutschen, wenn es ausschließlich um körperliche Unversehrtheit, nicht aber um Lebensqualität gehe. Mit dem Ausbrechen einer Wirtschaftskrise in einer Dimension, "wie wir sie ... nur aus Geschichtsbüchern kennen", und dem damit einhergehenden "Stresstest" für das soziale Netz stellt sich für Tippow die Frage, "ob das System in Richtung Autoritarismus oder Empathie geht".
In dieser Situation tue eine Kirche not, die nicht nur "umfassende Richtlinien für Liturgie und Reinigung" erlässt, sondern die die biblisch fundierte Würde des Menschen "mit ihrem jahrtausendealten Solidardenken wachsam begleitet". Dass in Zeiten verkündeter Alternativlosigkeit keine breite Diskussion über das Wegsperren von alten und die Besuchsverbote bei behinderten Menschen möglich war, "mag sein", so Tippow. Für eine gute Zukunft der liberalen Demokratien nach der Coronazeit sei der solidarischer Blick auf die Vereinsamten und Sterbenden nötig, ebenso wie auf die Arbeitslosen und an den Rand Gedrängten, auf die Kinder armer Eltern und die Menschen, die in den Pflegeheimen, in den Fabriken Bangladeschs oder auf den Feldern Südeuropas unter prekären Bedingungen arbeiten.
Gegen "autoritäre Überheblichkeiten"
Der Caritas-Bereichsleiter betonte: "Wir brauchen den breiten gesellschaftlichen Diskurs mit seinen sozialen, künstlerischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, weltanschaulichen, religiösen und sonstigen Dimensionen. Was wir nicht brauchen, sind autoritäre Überheblichkeiten, basierend auf einem Dauerkrisenmodus."
Tippow attestierte der Regierung "Treffsicherheit" bei der Auswahl der sie beratenden wissenschaftlichen Gremien. Freilich seien angstmachende Szenarien skizziert worden, Fakten habe es jedoch "nur vereinzelt" gegeben, "kaum Transparenz und überhaupt keine Berücksichtigung der Zivilgesellschaft". Wochenlang habe nur "der folgsame Untertan" Platz gehabt. Die politisch verfügten stärksten Einschränkungen von Bürgerrechten in der jüngeren Geschichte "wurden zu einem gut verkaufbaren Cocktail aus populärwissenschaftlich vorgetragener Wissenschaft, Kleinstaaterei, boulevardverträglichem Autoritarismus und Überheblichkeit gemixt", kritisierte Tippow.
Jede die Grundrechte einschränkende Maßnahme müsse verhältnismäßig, legitim und angemessen sein. Der Caritas-Mitarbeiter warnte: "Österreich kann aus dieser Ausnahmesituation fairer, gerechter, solidarischer, moderner, europäischer und gemeinwohlorientierter hervorgehen, aber auch korrupter, elitärer, engstirniger und autoritärer."
Quelle: kathpress