Altkanzler Schüssel zeigt sich in Buch gläubig und kirchenkritisch
Wolfgang Schüssel, ÖVP-Bundeskanzler der Jahre 2000 bis 2007, zeigt sich in seinem neuen Buch "Was. Mut. Macht." sowohl gläubig als auch kirchenkritisch. Eine der ersten Erinnerungen in dieser zu seinem 75. Geburtstag vorgelegten Sammlung von "Bemerkungen und Bemerkenswertem" handelt davon, dass Schüssel als Scheidungskind 1956 nicht so ohne weiteres in das katholische Wiener Schottengymnasium aufgenommen werden konnte. Erst als der damalige Seckauer Abt Benedikt Reetz - auf Betreiben von Schüssels Tante Therese, einer Oblatin - zu seinem Fürsprecher wurde, klappte es mit der Laufbahn an einer renommierten katholischen Privatschule.
Der Altkanzler zeigt in seinem Buch geprägt von seiner christlichen Erziehung, aber auch durchaus kritisch gegenüber dem "Bodenpersonal" Gottes. Er berichtet von einer Kuriosität, die ihn und seine Frau Gigi ihr Eheversprechen nach vier Jahren wiederholen ließ. Der das Paar 1970 trauende Ordenspriester hatte damals nämlich vergessen, die Erlaubnis des zuständigen Ortspfarrers einzuholen, wodurch die Trauung im Anfechtungsfall kirchenrechtlich ungültig gewesen wäre. Somit kam es 1974 - nach vier Jahren unwissentlicher "wilder Ehe", wie Schüssel anmerkte - zum neuerlichen wechselseitigen Ja.
"O heiliger Unsinn des Kirchenrechts!", kommentiert dies Schüssel nun. Anlässe für Befremdung gebe es einige, "vom Zölibat bis zur Verweigerung der Priesterweihe für Frauen, ökumenische Barrieren oder gewisse Dogmen, die heute nur mehr unter gewaltigen intellektuellen Verrenkungen verständlich zu machen sind". Dass solle natürlich die historische und aktuelle Bedeutung der christlichen Religion in keiner Weise schmälern, fügt der Autor hinzu.
Zugleich sei das Christentum "eine echte Provokation", so der Titel eines weiteren Kapitels. Als Beispiele nennt Schüssel Jesu Vertreibung der Händler mit Peitschenhieben aus dem Tempel, dass er die Apostel "rücksichtslos aus ihren Familien reißt" und selbst seine Mutter mit dem Satz "Was habe ich mit dir zu schaffen" kränkt; auch Aufforderungen Jesu wie, man müsse sein Leben verlieren, um es zu retten, oder solle sich wie nichtarbeitende Vögel nicht um den morgigen Tag kümmern seien "wirklich schwer verdaubare Provokationen".
Kunst als Brücke zur Transzendenz
Bezugnahmen auf Religion und ihr zuzuordnende Persönlichkeiten finden sich in dem am 5. Juni - zwei Tage vor dem 75er des Autors - veröffentlichten, in leicht lesbare Abschnitte gegliederten Buch zuhauf, auch wenn naturgemäß Politik und Zeitgeschichte dominieren. Eine Brücke zur Transzendenz bildet für Schüssel offenbar die Kultur. Im obersteirischen Benediktinerstift Seckau nahm er Jahrzehnte lang an sommerlichen Einkehrtagen teil. Schon als Schüler der "Schotten" hatte Schüssel dem Maler Herbert Boeckl dort beim Schaffen dessen viel bewunderten Apokalypse-Fresken zugesehen. Schüssel zitiert den "weitsichtigen" Künstlerpriester Msgr. Otto Mauer, der Kunst als "Manifestation Gottes" sah, und auch den Schriftsteller Martin Walser, der zwar nicht an Gott glaubt, aber ihn vermisst, wie er sagte.
In Schüssels Büroräumen hing eine Bilderserie, in der Max Weiler die 29 Wörter eines Meister-Eckhart-Zitates in abstrakte Malerei übersetzte. Der frühere Kanzler erweist sich als Bewunderer von Blaise Pascal und dessen Wette zugunsten des Glaubens an Gott. Ausdrücklich würdigt er die Europa-integrative Kraft von Papst Johannes Pauls II. Der Leser erfährt auch, dass die Lieblingsstelle des Ex-Kanzlers im Alten Testament Kohelet 3, 1-8 ist, wo es heißt: "Alles hat seine Stunde". Ob Schüssel ein weiteres prominent platziertes Zitat von Ignatius von Loyola auch auf sich bezieht, kann nur vermutet werden: "Nur wenige Menschen ahnen, wie Gott Großes aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden."
Wolfgang Schüssels Buch "Was. Mut. Macht." erschien im Ecowin-Verlag, umfasst 420 Seiten und kostet 26 Euro.
Quelle: kathpress