Trauer um Grundeinkommens-Vordenkerin Lieselotte Wohlgenannt
Die Kirche in Österreich trauert um die langjährige Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie (ksoe) und Vordenkerin des Bedingungslosen Grundeinkommens, Lieselotte Wohlgenannt. Die Sozialwissenschaftlerin starb am 29. Mai 88-jährig im Kreis ihrer Familie in Bregenz, teilte die ksoe am Freitag in einem Nachruf mit. Direktorin Magdalena Holztrattner würdigte Wohlgenannt als herausragende Expertin des Gemeinwesens:
Mit den Grundlagenarbeiten zum Bedingungslosen Grundeinkommen hat sie den sozialpolitischen Diskurs der letzten Jahrzehnte mitgeprägt. Damit hat sie einen bedeutenden Beitrag geleistet, Arbeit und soziale Sicherheit neu zu denken.
Über Jahrzehnte habe Wohlgenannt an der Katholischen Sozialakademie in den Bereichen Grundlagenarbeit und Erwachsenenbildung gewirkt und zu Bereichen wie "Zukunft der Arbeit", Frauenarmut oder Pensionsreform gearbeitet. Die Breite des Denkens der Verstorbenen verdeutlichen Einladungen zu verschiedensten Interessenvertretungen und zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie von politischen Parteien wie dem Renner Institut, der Politischen Akademie der ÖVP, der FPÖ und der Grünen Bildungswerkstatt. In Fragen einer aktiven Gewaltlosigkeit arbeitete sie mit Jean Goss und Hildegard Goss-Mayr bei Seminaren und Publikationen des Internationalen Versöhnungsbundes zusammen.
Lieselotte Wohlgenannt wurde am 15. Juli 1931 in Stuttgart geboren. Nach Abschluss der Handelsakademie in Bregenz arbeitete sie in der Vorarlberger Lebensmittelindustrie, ehe sie zum Studium der Sozialwissenschaften nach Paris ging. Von 1968 bis 1977 war sie im Nationalbüro der Katholischen Schulen von Zaire (jetzt Demokratische Republik Kongo) tätig, danach bis 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sozialakademie. Auch nach ihrer Pensionierung arbeitete sie ehrenamtlich in ksoe-Projekten weiter.
Bleibend in Erinnerung ist Lieselotte Wohlgenannt auch als Mitdenkerin beim Ökumenischen Sozialwort der christlichen Kirchen in Österreich. 2011 wurde Wohlgenannt mit dem Bundes-Ehrenzeichen für "hervorragende Leistungen im Bereich der Erwachsenenbildung" und als "Ausdruck für besondere Verdienste um das Gemeinwesen" ausgezeichnet. Mit den "frauenpolitischen Seminaren", die Wohlgenannt langjährig geleitet und begleitet hat, hat sie eine Tradition in der ksoe begründet, die heute in Form der "frauenakademie" lebendig ist.
Zentrales Thema Grundeinkommen
In all diesen Jahren war laut Sozialakademie aber die Auseinandersetzung um das Konzept eines Bedingungslosen Grundeinkommens das zentrale Thema ihrer Vorträge, Diskussions- und Bildungsveranstaltungen. Dazu legte sie innovative Publikationen wie "Grundeinkommen ohne Arbeit" (1985) und "Den öko-sozialen Umbau beginnen: Grundeinkommen" (1990) vor. Wohlgenannt war auch wesentlich beteiligt an der Gründung des Netzwerkes "Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt - B.I.E.N. Austria" und vertrat das Österreichische Grundeinkommensnetzwerk bei den europäischen und internationalen Kongressen von BIEN (Basic Income Earth Network) in Wien, Berlin, Basel, London und Genf.
Mit ihrem Vortrag "Freedom to do/In Freiheit tätig sein" konnte sie ihr Konzept 2007 bei einer Enquete im Europäischen Parlament zur Diskussion stellen. Anlässlich ihres 85. Geburtstages 2016 wurde der Buch-Klassiker "Grundeinkommen - ohne Arbeit" (ergänzt um aktuelle Beiträge) im ÖGB-Verlag neu aufgelegt.
Quelle: kathpress