Theologe Remele: Bibelfoto für Trump ein "kalkuliertes Sakrileg"
Die jüngsten umstrittenen Auftritte von US-Präsident Donald Trump vor Kirchen in Washington und mit der Bibel in der Hand zielen darauf ab, Evangelikale sowie rechtskonservative katholische Wähler zu halten und zu mobilisieren. Das hat der Grazer Sozialethiker und USA-Experte Kurt Remele im Interview der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress (Freitag) erklärt. Trump habe die Bibel "für seine Politik instrumentalisiert und damit die biblische Option für die Schwachen, die Außenseiter, die Armen konterkariert", hielt der Theologe fest. "Aber auch wenn es ein Sakrileg ist, ist es aus Sicht Trumps ein kalkuliertes Sakrileg", betonte Remele, der mehrfach als Gastprofessor in den Vereinigten Staaten tätig war.
Trump, der wohl persönlich mit dem Christentum "nicht sehr viel am Hut habe", wolle mit derartigen Aktionen seine Kernwähler halten, "und es funktioniert auch", sagte der Grazer Universitätsprofessor. Zwar gebe es selbst unter den Evangelikalen Gegenstimmen zu Trumps Bibelfoto, aber: "Es haben schon einige der evangelikalen Prediger dafür Beifall gespendet, dass Trump das gemacht hat und gesagt: Das ist ein bibeltreuer Präsident."
Bei den vergangenen Wahlen hätten 81 Prozent der weißen Evangelikalen und Fundamentalisten Trump gewählt, "weil er ihnen glaubhaft versichern konnte, dass er ihre Bedeutung in der Gesellschaft heben und ihren politischen Einfluss stärken wird". Für eine Wiederwahl brauche der amtierende Präsident jedenfalls diese Unterstützung. Eine zweite, für Trump sehr wichtige Gruppe seien rechtskonservative Katholiken, so Remele:
Es gibt seit vielen Jahren eine Allianz zwischen Evangelikalen und rechtskonservativen bis traditionalistischen Katholiken. Letztere votieren sozusagen gegen Papst Franziskus, aber für Trump.
Zur Frage, warum Trumps moralisches Verhalten für seine Unterstützer offenbar nur eine untergeordnete Rolle spielt, verweist der Experte auf das "sehr machtpolitisches Denken" der neuen Generation von Evangelikalen. "Die sagen: Trump wird von Gott einfach gebraucht oder verwendet für das Vorankommen der evangelikalen Kirche, weil er diese beschützt und für sie einsteht." In einer solchen Sichtweise müsse der Präsident "kein Heiliger" sein, schilderte Remele:
Wenn man schaut, was die Evangelikalen damals zu Bill Clinton und dessen sexuellen Eskapaden gesagt haben - da hat das noch ganz anders geklungen. Aber jetzt bei Trump nehmen sie das in Kauf, weil es machtpolitisch etwas bringt.
Führende evangelikale Prediger hätten "ihre Seele an Trump verkauft", meinte der Theologe weiter. Tatsächlich sei der politische Einfluss der Evangelikalen in Trumps Präsidentschaft auch wirklich gestiegen, verwies er u.a. auf die Rolle der Pastorin Paula White, die zum engsten Beraterkreis Trumps zählt.
Die enge Verbindung zwischen Trump, Evangelikalen und rechtskonservativen Katholiken habe auch problematische Folgen für den gesellschaftlichen Blick auf Christen insgesamt, verdeutlichte der Theologe. So werde das Christentum von immer mehr Menschen in den USA "sehr stark als gegenmoderne Bewegung betrachtet" bis hin zu einem "gewissen Obskurantismus-Verdacht gegen das Christentum überhaupt", analysierte Remele.
"Offener und latenter Rassismus"
Im Kathpress-Interview äußerte sich der Theologe auch zu den anhaltenden Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Der Tod von George Floyd habe etwas hochgebracht, was die US-amerikanische Gesellschaft von Anfang an geprägt hat, sagte Remele. "Offener und latenter Rassismus sind noch ganz stark in der amerikanischen Gesellschaft. Sie zeigen sich überall, nicht nur bei der Polizeigewalt, sondern auch bei der Wohn-, Arbeits- und Einkommenssituation von Afroamerikanern. Das gilt auch bis in die katholische Kirche hinein."
Remele verwies auf den bekannten US-Jesuiten Thomas Reese. Der sagte dieser Tage, seine Generation habe versagt, weil sie es nicht geschafft habe, nach den Aufbrüchen mit Martin Luther King jr. in den 1960er Jahren den Rassismus wirklich abzuschaffen.
Quelle: kathpress