Corona-Pandemie brachte Perspektivwechsel bei Sterbehilfe
Die in der Öffentlichkeit häufig unklaren Grenzen zwischen aktiver Sterbehilfe und Sterbebegleitung bzw. Palliativmedizin sind durch die Coronakrise wieder bewusster geworden: Darauf weist das in Wien ansässige Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in einer Aussendung vom Donnerstag hin. In den Niederlanden - einem Hotspot der umstrittenen Suizidbeihilfe - seien die darauf spezialisierten Kliniken während des "Lockdowns" von Mitte März bis Mitte Mai geschlossen gewesen - nicht jedoch die Palliativ-Einrichtungen.
"Euthanasie, wie sie in den Niederlanden genannt wird, stellt keinen Grundauftrag der medizinischen Versorgung dar, Palliative Care hingegen schon", bemerkte dazu IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. Sie hoffe darauf, dass durch die Pandemie der ursprüngliche Begriff "Hilfe für ein würdiges Sterben" wieder in den Fokus rücken werde: "Wer in einer existenziellen Krisensituation wie Krankheit und Hochaltrigkeit einen Sterbewunsch äußert, braucht keine Hilfe zur Selbstauslöschung, sondern heilsame Begegnungen, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand. Darin zeigt sich echte Sterbehilfe", so die Wiener Bioethikerin.
Laut Kummers Angaben hatten niederländische Sterbehilfe-Einrichtungen wie die Amsterdamer "Lebensende-Klinik" ihre zweimonatige Pause damit begründet, dass "Euthanasie während der Covid-19-Krise keine Priorität" habe. Ähnlich das "Expertise Center for Euthanasia": Bei dem auf Tötung auf Verlangen von Patienten mit Demenz oder psychischen Erkrankungen spezialisierten Zentrum in Den Haag habe es im Zuge der Schließung ebenfalls weder Proteste noch eine öffentliche Debatte gegeben. 2019 hatte das Zentrum noch 3.122 Anfragen zur Tötung auf Verlangen verzeichnet - 22 Prozent mehr als 2018 - und diese 898 mal durchgeführt.
Die Corona-Pause überrasche, gelte aktive Sterbehilfe in den Niederlanden doch als Recht und als "letztes, höchst wirksames Mittel gegen schweres Leiden", zitierte die Wiener Bioethikerin ihren holländischen Fachkollegen Theo Boer, der einst selbst der staatlichen Euthanasie-Prüfungskommission seines Landes angehörte, dann 2014 zurücktrat und heute scharfer Kritiker der aktiven Sterbehilfe ist.
Boer sieht ebenfalls Hinweise auf einen "Perspektivenwechsel", der nun auch in den Niederlanden möglich sei: Ältere und gebrechliche Menschen würden nun nicht bloß als Last gesehen, sondern als Menschen, für die man bereit ist, viel zu investieren, damit sie nicht Opfer einer Pandemie werden. Damit habe Covid-19 die Realität des Todes, "die Notwendigkeit, für andere zu sorgen und von anderen gepflegt zu werden, wieder mitten in die eigenen vier Wände gebracht" und die "Kostbarkeit aller Leben und die Tragödie aller Todesfälle" real werden lassen.
Der an der Protestantischen Universität Groningen lehrende Medizinethiker wird bei den für 9./10. Oktober anberaumten "Salzburger Bioethik Dialogen" zum Thema "Modernes Sterben: Aufgaben und Grenzen der Medizin am Lebensende" referieren. Weitere Vortragende sind der frühere deutsche Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio, Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, der Rektor der Medizinischen Universität Wien, Markus Müller, der ärztlichen Leiterin des Wiener Hospiz Rennweg, Veronika Mosich, der Salzburger Strafrechtler Kurt Schmoller, der Palliativmediziner Herbert Watzke, sowie IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. (Infos: www.imabe.org)
Quelle: kathpress