Liebmann: Papst Pius XII. schwieg aus Rücksicht auf Konkordat
Was wusste Papst Pius XII. (1939-1958) über die Schoah und warum hat er geschwiegen? Diese Frage hat seit der Anfang März erfolgten Öffnung der Vatikanischen Archive und aller Akten zum Pacelli-Pontifikat eine neue Dynamik erhalten, wie bereits erste Auswertungen der in Einsicht genommen Akten belegen. Auch der renommierte Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann ist davon überzeugt, dass Pius XII. über den Holocaust "bestens informiert" war, wie er am Freitag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress erklärte. Dennoch habe der Papst "bewusst geschwiegen - und das in Rücksicht auf das 1933 abgeschlossene Konkordat zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl".
Eugenio Pacelli, der als Nuntius den Heiligen Stuhl von 1917 bis 1929 zuerst in München und dann in Berlin vertrat, war in der Folge ab 1930 als vatikanischer Kardinalstaatssekretär maßgeblich an der Verhandlung des Konkordats mit NS-Deutschland beteiligt. Am 20. Juli 1933 wurde das sogenannte Reichskonkordat mit der nationalsozialistischen Regierung schließlich im Vatikan feierlich durch Eugenio Pacelli und Franz von Papen unterzeichnet, die Ratifizierung durch das Deutsche Reich erfolgte am 10. September 1933.
Der spätere Papst Pius XII. habe das Reichskonkordat daher sehr gut gekannt, so Liebmann. "Weil in diesem Konkordat klar zwischen kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten unterschieden wurde, sah sich der Papst nur für die kirchlichen Themen zuständig. Eine Einmischung in politische Themen, und die Judenfrage wurde damals als eine rein politische Frage verstanden, wäre ein Konkordatsbruch gewesen, den Pius XII. nicht riskieren wollte", erklärte der Kirchenhistoriker.
Diese Sichtweise sei für heute freilich "völlig unverständlich", weil die Frage nach dem Verhältnis zu den Juden für die Kirche selbstverständlich weit mehr als eine politische Frage ist. Dieser allgemeine Bewusstseinswandel seit damals könne aber erklären, weshalb Pius XII. zur Schoah schwieg, befand Liebmann.
Vatikan-Archive ab Montag wieder geöffnet
Unterdessen hat der Vatikan bekanntgegeben, dass die Apostolische Bibliothek und die Archive des Vatikan ab kommendem Montag wieder für Forschungszwecke geöffnet sind. Wegen der Corona-Krise waren in den vergangenen Wochen sämtliche Archive des Vatikan geschlossen. Damit ruhten auch die Forschungsarbeiten internationaler Wissenschaftler zum Pontifikat von Pius XII. in den Archiven. Der Vatikan hatte die entsprechenden Akten aus dem Pacelli-Pontifikat kurz zuvor Anfang März für Wissenschaftler aus aller Welt zugänglich gemacht.
Quelle: kathpress