"Laudato si" war "Game Changer" für Klimadebatte
Die Enzyklika "Laudato si" hat nach den Worten des deutschen Klimaforschers Hans-Joachim Schellnhuber weit über die Kirche hinaus Kreise gezogen: Sie habe "geradezu die Wirkung eines Game-Changers entwickelt", sagte der Gründer des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Interview mit dem Portal vaticannews.va aus Anlass des vor fünf Jahren (24. Mai) fertiggestellten Schreibens von Papst Franziskus. Dass dieser sich mit seinem moralischen Gewicht in die Debatte eingemischt und ihr Prägung verliehen habe, habe "die Stimmung der Klimaverhandlungen und auch allgemein der Klimaaktivitäten der sozialen Bewegungen nachhaltig verändert", so der Experte.
Schellnhuber war selbst Mitautor der Enzyklika und hatte sie bei dessen Erscheinen präsentiert. "Laudato si" sei "viel weiter gefasst" als eine reine Klima-Enzyklika und habe zu erfolgreichen Entwicklungen im Klimabereich - angefangen mit der Pariser Klimakonferenz von 2015 - ganz entscheidend beigetragen, sagte der renommierte Experte.
Der Text habe die Zivilgesellschaft inspiriert, darunter auch die "Fridays for Future"-Bewegung, und unkonventionelle Bündnisse wie etwa zwischen Kirche und Wissenschaft, Teilen der Wirtschaft oder sozialen Bewegungen entstehen lassen. Da das "Ritual" der großen Klimakonferenzen an Bedeutung verliere, sei dies wichtig: In der Klimadebatte komme "eigentlich viel mehr Kraft aus der Mitte der Gesellschaft selbst", so der Papst-Berater. Mit dem in der Enzyklika skizzierten Konzept der integralen Ökologie sei die katholische Kirche "ein ganz bedeutender Beweger in der gesellschaftlichen Debatte".
Doch auch für die Kirche selbst habe das Dokument eine große Bedeutung, weil es "generell die Stimmung mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit verändert hat" und ihr damit einen großen Sympathiegewinn beschert habe, sagte der Klimaforscher. "Laudato si" habe viele Menschen veranlasst, "sich wieder stärker an der katholischen Kirche - und an Papst Franziskus - zu orientieren", so Schellnhubers Wahrnehmung. Die Kirche habe sich damit in Hinblick auf die Welt, die Zukunft, die Natur und die Schöpfung positioniert und mit diesen Bereichen auseinandergesetzt - weshalb die Enzyklika außer für Klimafragen auch für die Bedeutung des Spirituellen in der modernen Welt "einen großen Schritt nach vorn" gebracht habe.
Als Verbindungslinie zwischen den in "Laudato si" geschilderten Themen und der aktuellen Coronakrise bezeichnete der Wissenschaftler vor allem, "dass wir die Achtung vor der Schöpfung verloren haben". "Je tiefer man etwa in unberührte Natur eindringt, desto größer ist eben die Gefahr, dass beispielsweise Seuchen entstehen, vom Tier auf den Menschen überspringen." Die Forschung zeige deutlich, dass große Teil der Erde "einfach unbewohnbar" würden, sofern die Menschheit die Klimakrisen nicht in den Griff bekomme. "Wenn wir die Natur zerstören, wird sie uns zerstören", habe Papst Franziskus einmal öffentlich in Zusammenhang mit Laudato si gesagt. "Und genau das sehen wir im Augenblick", so Schellnhuber.
Zum Thema Covid-19 sei derzeit eine gemeinsame Initiative von Papst Franziskus und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Vorbereitung, erklärte Schellnhuber. Durchaus würde sich "Laudato si" als "sozialökologischer Kompass" für den von der EU-Kommissionspräsidentin vorgeschlagenen "Green New Deal" eignen, befand Schellnhuber, der am vatikanischen Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen jenem Krisenstab angehört, der den Vatikan zu Maßnahmen im Zug der Corona-Krise berät. Dies wäre "eigentlich naheliegend", und ein denkbares Treffen zwischen dem Papst und der Kommissionspräsidentin zu genau diesem Thema "fantastisch".
Quelle: kathpress