Bischof Scheuer: Demokratie und Rechtsstaat täglich verteidigen
An das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und den Wiederaufbau des Landes hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer erinnert. "Auf den Trümmern und Ruinen der zertrümmerten Republik wurden Rechtsstaat und Demokratie mit Gewaltentrennung, Grund- und Freiheitsrechten aufgebaut. Das ist ganz und gar keine Selbstverständlichkeit, sondern muss täglich verteidigt werden", so der Bischof wörtlich in einer Kathpress vorliegenden Stellungnahme.
Scheuer rief dazu auf, nicht nachzulassen in dem Bemühen, den Frieden in Gegenwart und Zukunft zu sichern und zu fördern. "Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bleibt es unsere zentrale Aufgabe, den Frieden zu wahren, zu fördern und zu erneuern. Wir wissen: Es gibt keinen dauerhaften Frieden ohne Gerechtigkeit, ohne den Schutz der Menschenrechte, ohne Freiheit und ohne die Achtung des Rechts", so Scheuer wörtlich.
Zur Erinnerung an das Kriegsende bzw. an den Tag der Befreiung am 8. Mai vor 75 Jahren war von der Diözese Linz und der "Pro Oriente"-Sektion Oberösterreich eigentlich eine Dank- und Friedenswallfahrt in den Linzer Mariendom geplant. Diese musste wegen der Corona-Maßnahmen verschoben werden und soll nun im Umfeld des Nationalfeiertags - voraussichtlich am 25. Oktober 2020 - stattfinden.
Gedenken an NS-Opfer
"75 Jahre nach Kriegsende im Mai 1945 gedenken wir vor allem der Opfer von Terror und Krieg, gedenken wir der Ermordeten, der Toten, der Verfolgten, Eingekerkerten, Verschleppten und Vertriebenen", hielt der Bischof in seiner Stellungnahme weiter fest. Die Erinnerung an das unvorstellbare Leid des jüdischen Volkes sei für Christen zudem verbunden mit dem schmerzlichen Eingedenken in die eigenen Verstrickungen und die damit verbundenen Schuldzusammenhänge des Antisemitismus.
Die österreichischen Bischöfe hätten 1938 - wie auch Politiker, Künstler und Wissenschaftler - nach der Besetzung Österreichs die katastrophalen und menschenverachtenden Konsequenzen der Machtübernahme Hitlers nicht deutlich genug erkannt oder benannt, so Scheuer: "Auch heute schmerzt noch, dass zwischen März 1938 und Mai 1945 die Christen nicht stärker der Macht des Hasses, der Unmenschlichkeit und der Diktatur entgegengetreten sind oder entgegentreten konnten." Sie hätten in ihren öffentlichen Stellungnahmen keine grundlegende Systemkritik betrieben und den nationalsozialistischen Staat nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wie auch immer diese Erklärungen zustande gekommen sind. "Sie haben den Terror und die Barbarei nicht verhindert oder konnten sie nicht verhindern."
Was in den Worten der Bischöfe fehlte
Die deutschen und mit ihnen auch die österreichischen Bischöfe hätten sich in der Kriegszeit, bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen auch offener Gegnerschaft, nicht gegen den Vernichtungskrieg und nicht gegen die Verbrechen des NS-Regimes gewandt. Scheuer: "Es kam von den Bischöfen kein eindeutiges 'Nein' zum Krieg, sondern Worte zum Durchhalten für die Soldaten." Die Perspektive der Bischöfe habe sich im Laufe des Krieges verändert. Jedoch: "Im Vordergrund der Bewertung standen jedoch die Leiden des eigenen Volkes." Die Leiden der Anderen seien nur ungenügend in den Blick genommen worden.
Freilich: Es habe auch unter den Katholiken Widerstand gegeben: "Priester und Laien, Männer und Frauen, hatten als Einzelne die Kraft, dem Ruf ihres Gewissens zu folgen und mussten dafür ihr Leben lassen." Scheuer erinnerte an Sr. Restituta Kafka, Pfarrer Otto Neururer, P. Jakob Gapp, Provikar Carl Lampert oder an Franz Jägerstätter. Nicht vergessen werden dürften auch all jene, die allein durch eine erkennbare und bewusste christliche Lebensführung aneckten und persönliche Konsequenzen fürchten mussten.
Zugleich betonte Scheuer: "Die Erinnerung an diese Zeugen lässt sich nicht aufrechnen mit dem Verhalten der größeren Mehrheit, sie ist keine Rechtfertigung für die ganze katholische Kirche, kein Reinwaschen von Schuld und Verstrickung." Die Erinnerung an die Glaubenszeugen sei zudem "gefährlich": "Es ist eine Spurenlese des Ausschau-Haltens nach dem ausgesetzten Menschen, nach dem leidenden Gott angesichts des Wahnsinns, des Terrors in der Zeit des Nationalsozialismus", so der Bischof.
Scham und Verantwortung
Zur Erinnerung in Oberösterreich gehörten das KZ Mauthausen, eine ganze Reihe von Nebenlagern sowie die Tötungsanstalt Hartheim, "wo der Holocaust, die Shoah geprobt wurden". Zur Geschichte des Landes gehöre ebenso die Mühlviertler Hasenjagd vom Februar 1945: Rund 300 Häftlinge waren Anfang Februar aus dem KZ Mauthausen entkommen, nur elf überlebten. Scheuer dazu:
Die Grenze zwischen denen, die Häftlinge versteckten und damit ihr Leben riskierten, und denen, die mit auf der Jagd waren, ging durch Dörfer, Verwandtschaften oder auch Familien hindurch.
Auf der anderen Seite: "In Oberösterreich wurden nach dem Krieg viele Flüchtlinge aufgenommen, die hier Heimat und Lebensraum gefunden haben. Es gab gerade in Zeiten der großen Not und des Hungers die Bereitschaft zum Teilen, zur Solidarität und zur Gastfreundschaft. Lebensraum wurde gewährt für Behinderte und auch für alte Menschen, für Sieche und für Krüppel."
Das Fazit des Bischofs:
Wir können nicht die eine Seite der Barbarei einfach dem Vergessen übergeben und auf die andere Seite der Mitmenschlichkeit stolz sein. Der Glaube an Gott macht frei, sich auch den dunklen Seiten der eigenen Biographie und der Schuldgeschichte des eigenen Volkes zu stellen. Wir erinnern uns, damit wir uns unserer eigenen Verantwortung bewusst werden.
Quelle: kathpress