Theologin: Corona-Epidemie keine Strafe Gottes, aber Weckruf
Jedenfalls nicht als "Strafe Gottes" können laut der Pastoraltheologin Regina Polak die Coronavirus-Pandemie und andere Krisen der Gegenwart bezeichnet werden: Solche Deutungen seien Projektionen menschlicher "Rachephantasien" auf einen Gott, der Sünden mit brutaler Gewalt beantwortet, und als solche "verantwortungslos, brandgefährlich und abzulehnen", schrieb die Theologin am Institut für Praktische Theologie der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät in einem Beitrag für das Onlineportal feinschwarz.net. Wohl lohne es sich aber, Vergleiche zwischen der Seuche mit den biblischen zehn Plagen zu ziehen, die Situation als Lernaufgabe wahrzunehmen, den Glauben als "Orientierungshilfe für solche Zeiten" zu entdecken und daraus "Hoffnungsperspektiven" zu schöpfen, erklärte Polak.
"Eine Katastrophe jagt seit Jahresbeginn die andere", verwies die Theologin nicht nur auf die Pandemie und deren Konsequenzen, sondern auch auf die Buschbrände in Australien, die Sturmfluten im Norden Europas und die Heuschreckenplage in Afrika. In den biblischen Texten habe das Volk Gottes vergleichbaren Ereignissen und auch seiner Ausbeutung, Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung durch imperiale Mächte religiösen Sinn abgerungen und daraus "ethische, rechtliche und politische Konsequenzen gezogen, um zukünftiges Leid zu verhindern", unterstrich Polak. Daraus sei trotz allen Übels "qualifizierte, erfahrene und gebildete Hoffnung" erwachsen, welche die Menschen von Opfern wieder zu "Handelnden der Geschichte" gemacht habe.
Die Erzählung von den zehn Plagen ist dabei der Pastoraltheologin zufolge im Kontext der gesamten Exodusgeschichte und somit als "Befreiungsgeschichte" zu lesen. Das Buch Exodus im Alten Testament der Bibel berichtet von der geglückten Flucht der Hebräer aus dem Ägypterreich, das trotz seiner beeindruckenden wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Verfasstheit dennoch auf einer ungerechten Gesellschaftsordnung aufgebaut war. Die Hebräer, Angehörige der untersten sozialen Schicht, deuten die Flucht als Befreiungsgeschichte durch und mit Gott. Die Plagen im Vorfeld des Auszugs aus Ägypten waren laut Polak eine "Art Warnung und Weckruf Gottes" für den Pharao, der seinen ausgebeuteten Sklaven Recht und Freiheit verweigerte.
Impuls für Selbstkritik
Trotz der darauf folgenden Befreiung würden Juden bis heute noch die einst gegen Ägypten gerichteten Plagen keinesfalls freudig begrüßen, da dies "zynisch und eine unzulässige spirituelle Überhöhung" wäre, so die kürzlich selbst in Israel lehrende Polak. Wohl aber gälten die Plagen als eine "Chance auf Umkehr": "Indem Gott selbst die Verantwortung für diese Plagen übernimmt, muss sein Volk nicht zur Gewalt gegen die Ägypter greifen und schuldig werden. Vielmehr kann es selbst innerlich geläutert werden. Die Plagen müssen dann nicht als Strafen wahrgenommen werden, sondern können zu Selbstreflexion, Selbstkritik und Fragen anregen, welches Verhalten das Entstehen dieser Katastrophen begünstigt hat." Die Bibelwissenschaft komme heute nämlich zum Schluss, dass die Plagen durchaus Folgen der Gewalt gegen Natur, Tiere und Menschen gewesen seien.
Pandemie zeigt Unrecht auf
Aus der Perspektive der Bibel zeige auch die heutige Plage der Corona-Pandemie einiges an Unrecht, Ungleichheit und Schwachstellen der Welt- und Gesellschaftsordnung auf, schrieb Polak und nannte Beispiele dafür: Abhängigkeit der Güterproduktion etwa, den besseren Schutz von Home-Office-Workern gegenüber den Supermarkt-Regalschlichtern oder auch das seit Jahrzehnten neoliberal geschwächte Gesundheitssystem Großbritanniens, dessen Bewohner nun dafür büßen müssten - und "wie sich Corona in den armen Ländern der Erde auswirken wird, mag ich mir nicht vorstellen". Gott wolle solche "Unrechtsordnungen" und "Schuldzusammenhänge" beenden, doch müssten diese dazu aber "zuallererst einmal sichtbar, erfahrbar und benennbar werden".
Verbunden mit dem vielen Leid, welches das Coronavirus mit sich bringe, stünden "schmerzvolle Erkenntnisprozesse" an, gab die Pastoraltheologin zu bedenken. Schließlich habe die Krise wie ein "Brennglas" bestimmte Wertvorstellungen und Normen - wie die sozial hohe Wertigkeit und Selbstverständlichkeit internationaler Flugreisen, den Anspruch auf immerwährende Verfügbarkeit von Gütern oder die Schwierigkeit des Verzichtens etwa - aufgezeigt. Ebenso jedoch auch Perspektiven der Hoffnung: Polak nannte hier die "explorierende Solidarität", neu entstehende Hilfsbereitschaft und Nachbarschaftshilfe, die derzeitigen politischen Regierungsmaßnahmen wie auch die in sozialen Medien dokumentierte Sehnsucht nach einer neuen Lebensweise und nach mehr Entschiedenheit im Klimaschutz oder bei wirtschaftlichen Systemreformen.
Quelle: kathpress