Ethikerin: Freiheit wie bei Pandemie auch bei Suizid beschränken
Das Coronavirus führt der Welt Grundsätze vor Augen, die auch bei anderen ethischen Fragen wie etwa der Suizidbeihilfe gelten müssen: Darauf hat die Ethikerin Susanne Kummer in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Die Furche" (aktuelle Ausgabe) hingewiesen. Der Schutz besonders verletzlicher Personen - Hintergrund aller Gegenmaßnahmen in der aktuellen Pandemie - rechtfertige durchaus die Beschränkung menschlicher Autonomie und Selbstbestimmung. Die beiden letzteren Konzepte gelte es auch im Fall der Beihilfe zum Suizid "in einen größeren Rahmen zu stellen", forderte die Geschäftsführerin des kirchlichen Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE).
Vor allem die Verletzlichkeit des Menschen werde durch die Corona-Krise ins Bewusstsein gerufen, schrieb Kummer.
Wir alle nehmen in diesen Wochen drastische Einschränkungen im privaten und öffentlichen Leben in Kauf, um gefährdete Personengruppen wie ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen vor einer Ansteckung mit dem Virus zu schützen. Der Staat hat das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen eingeschränkt zum Schutz der Schwächeren und Verwundbaren. Und das ist gut so.
Jede Gesellschaft müsse beim bestmöglichen Schutz vulnerabler Gruppen vom Solidaritätsgedanken getragen sein.
Doch auch die Solidarität mit Menschen in Lebenskrisen verlange rechtliche Grenzen für den Willen Einzelner, fuhr die Wiener Ethikerin fort. Wer schwer krank, einsam oder gebrechlich ist und sich mit Tötungsgedanken befasst, erlebe eine höchst verletzliche Lebensphase. Ängste oder das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, trieben die Betroffenen oft in eine "Sackgasse tiefer Isolation und Hoffnungslosigkeit". In dieser Situation Beihilfe zum Suizid als "geglückter Fall von Autonomie" hochzustilisieren, sei völlig verfehlt. "Suizid ist keine Privatsache. Wir alle sind miteinander verbunden, keiner ist eine Insel für sich", betonte Kummer. Im ethischen Diskurs setze sich daher das Konzept der "relationalen Autonomie" zunehmend durch; es besagt, dass es keinen Widerspruch zwischen Autonomie und Abhängigkeit gibt.
Wird hingegen der begleitete Suizid zur wählbaren Option - wie in Deutschland, wo das Verfassungsgericht jüngst das Verbot gewerbsmäßiger Suizidbeihilfe kippte -, zieht dies laut der IMABE-Geschäftsführerin unweigerlich eine verhängnisvolle Entwicklung nach sich: Es entstehe Rechtfertigungsdruck einerseits für Pflegebedürftige, jedoch auch für ein "Gesundheitssystem, das sich Pflege und Hospiz noch leistet". Jede Suizidprävention würde weiters unterhöhlt und der Staat müsse alle Suizide respektieren, da er nie zwischen "guten" und "schlechten" unterscheiden könne. Daten aus der Schweiz, wo sich die Zahlen von durch Sterbehilfe-Organisationen begleitete Suizide seit 2003 auf über 2.000 jährlich verfünffacht haben, beweisen laut Susanne Kummer zudem, "dass Suizid ansteckend ist".
"Jeder Suizid einer zuviel"
Fazit der Bioethikerin: "Wer in einer existenziellen Krisensituation wie Krankheit und Hochaltrigkeit einen Sterbewunsch äußert, braucht keine Hilfe zur Selbstauslöschung, sondern heilsame Begegnungen, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand. Nur so kann jeder Mensch sich sicher sein, dass er in seiner Würde auch in verletzlichen Lebensphasen geachtet und geschützt wird." Behandlungen ablehnen könne jeder, auch wenn dies das Sterben beschleunige oder zum Tod führe.
Aber keiner darf jemand anderen dazu bestimmen, ihn durch Mitwirkung an seinem Suizid oder Durchführung einer Handlung zu töten.
Aufgabe des Staates sei nicht, Tötungswünsche zu regeln, sondern Leben zu schützen, hielt die IMABE-Geschäftsführerin fest. Ebenso sähen es Ärzte und Pflegende völlig zurecht als mit ihrem Berufsethos unvereinbar, bei Tötungswünschen mitzuwirken.
Suizide seien "nicht einfach wertneutral", sondern "jeder Suizid ist einer zu viel", so die Ethikerin weiter. Ihr Appell:
Unsere Kultur lebt davon, dass wir auch an den Grenzen des Lebens zueinanderstehen. Seien wir präzise in unserem Sprachgebrauch: Es gibt ein Recht auf Leben. Es gibt ein Recht darauf, dass Sterben nicht unnötig verlängert, sondern zugelassen wird. Aber es gibt kein Recht auf Tötung.
Folglich könne aus dem Recht auf Selbstbestimmung auch weder ein Recht noch die Pflicht des Arztes oder anderer Personen zur Mithilfe oder die Tötung seiner Patienten auf Wunsch abgeleitet werden.
Quelle: kathpress