Beck zu deutschem Suizid-Urteil: "Wird dem Menschen nicht gerecht"
Das deutsche Verfassungsgericht hat bei der Legalisierung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe die Pflicht zum Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen höher bewertet als den vom Staat zu garantierenden Lebensschutz, resümiert der Medizinethiker und Moraltheologe Prof. Matthias Beck in einem Gastkommentar in der Wochenzeitung "Die Furche". Er stellt zum Urteil fest: "Existenziell wird es dem Menschen in seiner Beziehung zu sich selbst, zum anderen und zu Gott nicht gerecht."
Aus theologischer Sicht stelle sich die Frage, "ob die Autonomie des Menschen wirklich das höchste Gut ist oder ob der Begriff der Menschenwürde nicht gerade beinhaltet, dass das Leben selbst dem menschlichen Zugriff entzogen und unverfügbar ist". Das Verbot der Suizid-Beihilfe in Österreich eröffne hier gar nicht erst den Raum für eine Gewissensentscheidung. Das könne für Ärzte und Angehörige entlastend sein.
Auch medizinisch gesehen würden Ärzte nicht zur Beihilfe beim Töten ausgebildet, sondern zur Lebenserhaltung - was nicht unnötige Lebensverlängerung bedeutet. Und theologisch bleibe das Verbot des Tötens sowohl für den anderen wie auch für sich selbst gültig.
Beck zeigt sich überzeugt, dass trotz aller Einwände wie unerträgliche Schmerzen (die größtenteils therapiert werden können) oder seelisches Leid die Tötung eines Menschen - auch durch die Hilfe eines anderen - nicht die Lösung sein könne. "Das Leben sollte als Ganzes durchlebt werden, es ist einer Letztverfügung durch den Menschen entzogen - auch im Blick auf das, was das Christentum 'Ewigkeit' oder 'Sein bei Gott' nennt."
Der Tötungswunsch von Patienten auf Palliativstationen oder Hospizeinrichtungen sei niedriger, weil die Menschen hier gut versorgt würden und nicht einsam seien. Oft sei der Tötungswunsch neben dem Druck von außen auch ein Ausdruck von Einsamkeit und Verlassenheit. Es ginge also vor allem darum, eine gute Suizidprophylaxe und eine gute Begleitung beim Sterben zu ermöglichen.
"Zu komplex für Schwarz-Weiß-Malerei"
Das Thema Sterbehilfe sei "zu komplex für Schwarz-Weiß-Malerei", schreibt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser in einem weiteren "Furche"-Gastkommentar. Sterbehilfe gehe über die Frage der persönlichen Selbstbestimmung hinaus, sie sei ein gesellschaftliches und sozialethisches Thema, denn der Wunsch nach assistiertem Suizid entstehe nicht im luftleeren Raum. Der Zugang zu guter Palliativversorgung und Hospizbegleitung spiele ebenso eine Rolle wie eine "Normalisierung" der Suizidhilfe, so Moser: "Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung nämlich werden, desto größer ist die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen."
Hier sei auch eine Verbindungslinie zur aktuellen Pflegereform zu ziehen, so Moser: "Wenn der Notstand ausgerufen wird, Pflege in erster Linie als Kostenfaktor thematisiert wird und mehr von der extremen Belastung der Pflegekräfte die Rede ist als von der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, verstärkt dies die Angst vor Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit, die wiederum einzahlt in den Ruf nach Suizidhilfe."
Ein striktes Verbot der Suizidhilfe wäre allerdings eine zu billige Antwort, meint die Diakonie-Direktorin. Vielmehr müssten Optionen für Menschen in der letzten Lebensphase geschaffen werden."Echte Selbstbestimmung braucht nicht nur den Freiheitsraum, sterben zu dürfen, sondern auch den Freiheitsraum, leben zu können", so Moser.
Gleichwohl müssten die Gewissenskonflikte ernst genommen werden, in denen sich Angehörige und Ärzte wiederfinden, die mit dem Leid und der eindringlichen Bitte eines Sterbewilligen konfrontiert sind - wie auch Konflikte, in denen sich ein Sterbewilliger befindet, der keinen anderen Weg sieht. Angesichts dieser moralischen Tragik brauche es - weit davon entfernt, Suizidhilfe zum Normalfall zu machen - eine offene Diskussion über rechtliche Regelungen, "die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen".
Quelle: kathpress