Sterbehilfe: Schönborn gegen Gesetzesänderung in Österreich
Nachdem das deutsche Bundesverfassungsgericht vergangene Woche das Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben hat, appelliert Kardinal Christoph Schönborn an die Entscheidungsträger in Österreich, diesem Beispiel nicht zu folgen. Der Wiener Erzbischof verwies in der "Kronen Zeitung" (Sonntag) auf Kardinal Franz König (1905-2004), der in hohem Alter den inzwischen legendären Grundsatz geprägt hatte: "Man soll an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen."
Das gelte heute noch genauso, betonte Kardinal Schönborn:
Bei uns haben alle Parlamentsparteien diese Intention hochgehalten und sich für den Ausbau der Palliativmedizin eingesetzt. Wir haben uns also für einen besseren Weg entschieden als jenen, den Deutschland nun einschlägt - und ich hoffe, dass das so bleibt.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte zuletzt den Paragrafen 217 des deutschen Strafgesetzbuchs zum Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe für nicht verfassungsgemäß. Aus dem deutschen Grundgesetz leite sich ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab, so die Richter. Damit sei die Freiheit eingeschlossen, auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Auch in Österreich ist ein entsprechendes ähnliches Verfahren beim Verfassungsgericht anhängig.
"Grundrecht auf Leben"
Kein Verständnis für das deutsche Urteil zeigte auch die Juristin Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) der Österreichischen Bischofskonferenz. Das deutsche Höchstgericht hätte auch anders entscheiden können, so Merckens in einem Gastkommentar in der Tageszeitung "Die Presse" (Samstag):
Zur Disposition stünde etwa ein Grundrecht auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft, vor allem dann, wenn Schutzbedürftige gerade auf diese Unterstützung angewiesen wären. Ein Grundrecht auf Leben, das davor schützt, in den Suizid gedrängt zu werden.
Dass es durch etablierte Sterbehilfe zu einem erhöhten Erwartungsdruck und einen stetigen Anstieg von Suiziden kommt, sei dank des deutschen Urteils "quasi amtlich", und das sei den Höchstrichter auch bewusst gewesen. Merckens:
Suizid aber braucht keine Unterstützung - Suizid braucht Prävention. Österreich hat noch die Wahl: entweder ein Recht, nicht in den Tod gedrängt zu werden, oder ein Recht auf Mitwirkung am Suizid.
In dieser Frage gebe es kein Sowohl-als-auch, "hier gibt es nur ein Entweder-oder".
Für die Juristin ist es eine Illusion, einmal zugestandene Beihilfe zur Selbsttötung lasse sich eingrenzen. So sei etwa Spanien kurz davor, die Beihilfe zum Suizid wie auch die Tötung auf Verlangen einzuführen. Freilich nur für schwerstkranke, unter unzumutbaren Schmerzen leidende Personen. Aber, so Merckens:
Belgien und die Niederlande haben auch so begonnen. Mittlerweile sind an Demenz Erkrankte, Minderjährige und psychisch Kranke umfasst. In der Schweiz darf die Sterbehilfe auch Gefangenen angeboten werden. Und in Kanada kann man mit seinem selbstbestimmten Tod gleich etwas 'Gutes' tun und den Suizid mit einer Organspende kombinieren.
In Ländern mit liberalen Regelungen zur Suizid- und Sterbehilfe sei ein stetiger Anstieg assistierter Selbsttötungen und von Tötung auf Verlangen zu verzeichnen. Suizidentschlüsse könnten gerade dann gefördert werden, wenn Menschen angesichts eines steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen aus Angst vor Versorgungslücken befürchten, ihre Selbstbestimmung zu verlieren. Einer der häufigen Gründe für einen assistierten Suizid sei, wie Untersuchungen im In- und Ausland nachweisen, der Wunsch, Angehörigen nicht zur Last zu fallen, warnte Merckens.
Unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen
Wie die Juristin weiter ausführte, seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und Österreich freilich unterschiedlich. Das deutsche Grundrecht sehe ein allgemeines Persönlichkeitsrecht vor, und dieses würde auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfassen. Und zwar völlig bedingungslos. Wer wie das deutsche Höchstgericht davon ausgeht, dass das Recht, sich selbst zu töten, sich unmittelbar von der Menschenwürde ableite, der dürfe dieses "Recht" natürlich auch an keine Bedingungen knüpfen, sondern müsse diese Entscheidung ohne weitere Begründung oder Rechtfertigung als einen Akt autonomer Selbstbestimmung respektieren.
Aber: "Österreich kennt ein derartiges allgemeines Persönlichkeitsrecht, wie es das Deutsche Bundesverfassungsgericht interpretiert, nicht", so Merckens. Österreich stütze sein verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht direkt auf die entsprechenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und die dazugehörige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Und der sagt klar: Aus dem Artikel 2 (Recht auf Leben) sei gerade kein (Menschen-)Recht auf selbstbestimmtes Sterben abzuleiten. In Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) hätten die Mitgliedstaaten zwar einen Beurteilungsspielraum und es sei ihnen auch nicht verboten, Suizidbeihilfe zuzulassen. Verpflichtet dazu seien sie aber nicht.
Merckens' Resümee: "Aus der in Österreich geltenden Grundrechtslage ist ein verfassungsmäßig geschütztes Recht auf Suizidbeihilfe also nicht abzuleiten." Österreich habe sich bisher auch dagegen entschieden. Das österreichische Strafgesetzbuch verbiete bisher nicht nur die Tötung auf Verlangen, sondern auch, einen anderen zur Selbsttötung zu animieren. "Der österreichische Gesetzgeber geht richtigerweise davon aus, dass Menschen mit Suizidgedanken schutzbedürftig sind. Er sieht sich in der Pflicht, diese schutzbedürftigen Personen vor dem Erwartungsdruck anderer zu schützen, und macht das, indem er verbietet, zur Selbsttötung zu animieren", so die Juristin. Nachsatz: "Auch eine angebotene Hilfeleistung animiert."
Quelle: kathpress