Neues Papstschreiben für Kräutler in Teilen nicht mutig genug
Der brasilianisch-österreichische Bischof Erwin Kräutler hat sich mit differenzierter Kritik am Papstschreiben zur Amazoniensynode zu Wort gemeldet. In einem aktuellen Interview für die Nachrichtenagentur cath.ch würdigt der emeritierte Bischof von Xingu einerseits die soziale, kulturelle und ökologische Visionen, die Franziskus in "Querida Amazonia" entwickelt hat, als "ausgezeichnet". Bei diesen Schwerpunkten habe der Papst "wirklich das zum Ausdruck gebracht, was wir, die Bischöfe, sehen wollten". Im vierten Teil zur Vision von Kirche und Seelsorge in Amazonien seien auch die Passagen zur Inkulturation der Liturgie "von großer Bedeutung"; dann jedoch, so Kräutler, nehme er im Papstschreiben "einen Bruch wahr, einen Übergang von einem Traum zu einer sehr pragmatischen Sichtweise".
Zunächst erinnere der Papst hier an die Notwendigkeit, die Eucharistie in den Gemeinden zu feiern, auch in den ganz entlegenen. "An der Stelle aber hört der Traum auf. Es folgen sehr pragmatische, sehr normative Erklärungen", so Kräutler. "Viele, darunter auch ich, finden diesen Teil des Schreibens sehr merkwürdig, denn er geht mit einem Wechsel des Stils einher", so der Amazonas-Bischof.
Auf die Frage, ob er enttäuscht sei, dass das Synodenvotum über eine in Einzelfällen mögliche Weihe von verheirateten Ständigen Diakonen zu Priestern im Text des Papstschreibens nicht erwähnt werde, sagte Kräutler: "Ich würde nicht das Wort 'enttäuscht' verwenden. Sagen wir, es gibt viele Leute wie mich, die perplex sind und nicht verstehen, warum diese Maßnahme nicht in das päpstliche Schreiben aufgenommen wurde." Er finde es "sehr seltsam", dass es in dem Text keinerlei Anspielung darauf gibt, so der Bischof.
"Papst hat Diskussion nicht beendet"
"Aber man kann das auch positiver sehen und feststellen, dass der Papst die Diskussion darüber nicht beendet hat", fügte Kräutler hinzu. Er zeigte sich überzeugt, dass das Thema weiterhin zur Sprache gebracht werden wird, und zwar "insbesondere von den Bischöfen, die, wie ich, an der Synode für die Weihe von 'viri probati' gestimmt haben". Nicht vergessen dürfe man aber gleichzeitig, dass der Papst die Schlussfolgerungen der Synodenväter im Form des Synodenschlussdokuments vom Oktober 2019 umgehend veröffentlicht habe und in "Querida Amazonia" daraufhinweise, dass sein nachsynodales Schreiben nicht an dessen Stelle trete.
Die Synode habe "wahrscheinlich dazu gedient, die Debatte über dieses Thema zu lancieren", meinte Kräutler im "cath.ch"-Interview:
Denn im Grunde gingen wir nicht davon aus, dass der Papst dem sofort zustimmen würde. Und zwar, weil wir zuerst zu einer Vereinbarung gelangen müssen, die von der katholischen Kirche auf der ganzen Welt akzeptiert wird.
Er könne nicht bestätigen, dass der Papst bei diesem Thema Druckversuchen ausgesetzt war oder sich von solchen beeinflussen habe lassen. "Ich bin aber überzeugt, dass es viele Interventionen gab, die darauf abzielten, das Thema 'viri probati' außen vor zu lassen."
Gemeinschaften brauchen Priester
Um in entlegenen Amazonasteilen Eucharistiefeiern sicherzustellen, werde es nicht ausreichen, mehr lateinamerikanische Missionare dorthin zu schicken. Amazonien könne "nur durch die Menschen von dort gerettet werden", sagte Kräutler. Das Problem des Priestermangels könne nur gelöst werden, "indem man aus dem Reichtum von Amazonien schöpft".
"Was den Gemeinschaften fehlt, ist die Gegenwart des Priesters", hielt der Bischof einmal mehr fest:
Heute besuchen die Priester entlegene Gemeinschaften zwei bis drei Mal jährlich. Und es sind nur Besuche. Darin liegt der große Unterschied zu den protestantischen Pastoren, die in und mit der Gemeinde leben.
Laien stützten schon heute die Kirche Amazoniens, "das ist für uns nichts Neues", sagte Kräutler zu jenen Passagen im Papstschreiben, in denen Franziskus betont, dass etwa Ständige Diakone, Ordensfrauen und Laienkatholiken in den Gemeinden mehr Verantwortung erhalten sollen. "Es gibt Gemeinden, die über genügend Diakone verfügen. Bleibt das Problem, dass sie der Messe nicht vorstehen dürfen", sagte Kräutler dazu:
Sie dürfen taufen. Sie dürfen predigen. Sie dürfen eine Gemeinschaft leiten. Aber außer der Taufe dürfen sie keine Sakramente spenden. Der Diakon hat eher eine soziale Funktion, seine kirchlichen Kompetenzen sind beschränkt.
Bei Frauen "eine Chance vertan"
Deutliche Kritik übt Kräutler am päpstlichen Nein zu einer Weihe von Frauen. Dieses ist für den Amazonasbischof "ein strategischer Fehler" insbesondere im Hinblick auf den Vormarsch der evangelikalen Kirchen. "Indem die Rolle der Frauen im Papstschreiben keine wirkliche Wertschätzung erfährt, wurde eine Chance vertan", so Kräutler:
Das beunruhigt uns, denn in mindestens 70 Prozent der Gemeinden im Amazonasgebiet sind Frauen dafür verantwortlich, dass die Kirche ordnungsgemäß funktioniert.
Der Papst erwähne in "Querida Amazonia" die Möglichkeit, Ämter für Frauen zu schaffen, die keine Ordination erfordern, aber so Kräutler: "Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wie ich das den Gläubigen erklären soll. Ich habe wirklich größere Fortschritte bei diesem Thema erwartet, denn es ist eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit." Mit der Synode sei die Hoffnung verbunden gewesen, "Strukturen tiefgehend zu hinterfragen, um sie zu verändern", sagte der Bischof:
Wir können nicht mit Strukturen fortfahren, die aus früheren Jahrhunderten stammen. Die Welt verändert sich, und in gewissen Punkten muss sich auch die Kirche verändern.
Dom Erwin Kräutler war von 1981 bis 2015 Bischof der brasilianischen Diözese Xingu im brasilianischen Bundesstaat Para und nahm als Mitglied an der Amazonien-Synode im Oktober 2019 im Vatikan teil. Der aus Vorarlberg stammende Ordensmann der Missionare vom Kostbaren Blut leitete von 1983 bis 1991 und später erneut von 2006 bis 2015 den brasilianischen Indianermissionsrat (CIMI).
Mit dem Dokument "Querida Amazonia" in Form einer sogenannten "Apostolischen Exhortation" legte Papst Franziskus am 12. März seine Folgerungen zur Amazonien-Synode vor, bei der vom 6. bis 27. Oktober 2019 rund 280 Bischöfe der Amazonasregion, Vertreter kontinentaler Bischofskonferenzen sowie der Römischen Kurie, Indigene und hinzugeladene Fachleute im Vatikan über aktuelle Herausforderungen im Amazonasgebiet diskutierten. Bei dem Treffen ging es unter anderem um ökologische und soziale Folgen des Raubbaus in der ressourcenreichen Region, die Stärkung der indigenen Bevölkerung und um neue Wege in der Seelsorge.
Franziskus gliedert seine Überlegungen in "Querida Amazonia" in vier Themenbereiche: soziale Gerechtigkeit, indigene Bevölkerung und Kulturen, Ökologie sowie neue Wege des kirchlichen Lebens. In vier als "Träume" oder Visionen überschriebenen Kapiteln beschreibt Franziskus dabei einerseits die gravierenden Probleme am Amazonas, andererseits skizziert er mögliche Lösungswege.
Quelle: kathpress