Theologe Tück sieht wachsende Risse in Weltkirche
Der an der Universität Wien lehrende Theologe Jan-Heiner Tück sieht zunehmende Risse in der katholischen Weltkirche. "Wir haben eine wachsende Gleichzeitigkeit verschiedener Strömungen in der katholischen Kirche. Die sind schwer zu bändigen", sagte der Dogmatikprofessor dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in einem Interview aus Anlass des neuen Papstschreibens "Querida Amazonia".
Franziskus habe vor der Synode zum einen "durchaus Reformsignale gesetzt", zum anderen mehrfach betont, dass ein optionaler Zölibat komme für ihn nicht infrage komme, so Tück. "Sein jetzt veröffentlichtes Schreiben zeigt, dass Franziskus einen anderen Reformbegriff hat als viele, vor allem deutsche Katholiken. Ihm geht es um Evangelisierung, weniger um Strukturfragen", sagte der Theologe. Der Reformprozess habe einen Dämpfer erhalten. Der Papst eigne sich nicht als Projektionsfläche deutscher Reformvorstellungen. Schon in Polen oder Ungarn seien Themen wie die Weihe von Frauen schwer vermittelbar.
Franziskus habe es vermieden, über Ausnahmen vom Zölibat zu entscheiden; damit unterlaufe der Papst zugleich die Erwartungen an die päpstliche Entscheidungsgewalt, so Tück. "Das kann man begrüßen, aber die 'heilsame Dezentralisierung', die er angekündigt hat, wird ohne Unterstützung aus der Zentrale auch geschwächt. Franziskus ist entschieden unentschieden, ein Zauderer."
Zulehner: Papst gibt Druck an Bischöfe weiter
Im Grunde sage der Papst "Leute, ich muss nicht alles lehramtlich entscheiden", meinte hingegen der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner am Sonntag in einem Interview im ORF-Religionsmagazin "Orientierung". Zwischen den Zeilen des Papstschreibens könne man lesen, dass Franziskus "irgendwie klug" den Druck, der auf ihm in diesen Fragen laste, an die Ortsbischöfe weitergegeben habe, so der Theologe: "Er hat sich wirklich begründet entschieden, dass jetzt nicht zu entscheiden, sondern er sagt: Ich gebe die Verantwortung zurück zu den Hirten vor Ort."
Wörtlich sprach Zulehner von einer "tiefgreifenden Weiterentwicklung" der Kirche im Zuge des Synodenprozesses, der auch nicht abgeschlossen sei. Gelinge es im Zuge der nächsten Bischofssynode "über Synodalisierung, also Dezentralisierung" zu reden, sei dies eine Chance. Der Pastoraltheologe sieht dementsprechend nun die Ortskirchen "massiv gefordert". Bischöfe müssten aktiv werden und dem Papst Vorschläge machen. "Der Papst wird nicht widersprechen", zeigte sich der Theologe überzeugt.
Kritisch äußerte sich Zulehner im "Orientierung"-Interview zu den Passagen über die Rolle von Frauen in der Kirche im neuen Papstschreiben. Diese enthielten "keine gute Theologie auf Zukunft hin", meinte der Theologe und attestierte Franziskus hier "einen extrem hohen Zuhör- und Lernbedarf". Der Papst stelle die Dinge in seinem Schreiben "ja fast hymnisch schön" dar, "aber sie werden der Realität dessen, was Frauen verlangen, nicht gerecht", sagte Zulehner. Wenn im auferstandenen Christus die Spaltung zwischen Männern und Frauen überwunden sei, könne man sie jetzt nicht wieder im Amt trennen, so der Theologe: "Das halte ich für das stärkste feministische Argument, das auch theologisch unantastbar ist."
Marketz: "Nicht das, was sich viele erwartet haben"
Reaktionen zum Papstschreiben kamen am Wochenende auch vom Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl und dem neuen Kärntner Bischof Josef Marketz. "Ich lese aus dem Schreiben unser aller Sendungsauftrag als Christen heraus, unserer Mitwelt die Frohe Botschaft zu vermitteln", äußerte sich Krautwaschl in einer kurzen Stellungnahme gegenüber der "Kleinen Zeitung". Für Frauen möge manche Ausführung enttäuschend sein, "aber es werden sich neue Wege öffnen", so der steirische Bischof. Der Papst habe nichts weggesperrt, "da wird noch viel passieren".
"Es ist nicht das, was viele - ich eingeschlossen - sich aufgrund des Synodenverlaufs erwartet haben", wurde Marketz von der "Kleinen Zeitung" hinsichtlich des Papstschreibens zitiert. Es gebe nichts Neues zu den "heißen Eisen", das sei für viele enttäuschend. Papst Franziskus benenne aber wichtige Orientierungspunkte für eine lebendigere Kirche, fügte der Gurker Bischof hinzu: das Wahrnehmen der Lebenswirklichkeit der Menschen, bevor man sie mit dem Evangelium konfrontiere, eine mutige Verkündigung in die kulturellen Gegebenheiten hinein, das Aufnehmen traditioneller und modernen Zeitzeichen in Verkündigung und Liturgie, Respekt vor der Schöpfung und den Vorrang von inhaltlichen Fragen rund um die Liebe zu Gott und den Menschen vor strukturellen. "Für Papst Franziskus sind das vier Träume - es liegt an uns, sie aufzunehmen und an der Umsetzung zu arbeiten", erklärte Marketz.
Quelle: kathpress