Scheuer: "Für Papst nicht europäische Fragestellungen vorrangig"
Für Papst Franziskus sind nicht europäische Fragestellungen vorrangig, sondern der "Schrei der Schöpfung": Das hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Linz aus Anlass des nachsynodalen päpstlichen Schreibens "Querida Amazonia" betont. Es gehe darin vor allem um die konkreten Menschen, um die Schöpfung und um die Frage, ob die Botschaft des Evangeliums die Menschen in Amazonien nähren, befreien und aufbauen könne, sagte der Bischof.
Der Papst betone immer wieder den Zusammenhang zwischen Umwelt- und Humanökologie: Persönliche Haltungen, Konsumgewohnheiten und auch die sozialen Beziehungen hätten Auswirkungen auf die Umwelt und die Ressourcen. Scheuer:
Das erste, was von der Synode und vom Papst her mit Amazonien verbunden ist, ist der 'Schrei der Schöpfung' als zentrales Wort: Letztlich hängt das Wohl des gesamten Planeten von der Gesundheit Amazoniens ab.
In diesem Zusammenhang habe der Papst auch von "Empörung" gesprochen. Die in Amazonien stattfindende Ausbeutung von Mensch und Natur, die Zerstörung und Verachtung der indigenen Bevölkerung, seien "ein Skandal, eine himmelschreiende Sünde und Anlass zur Empörung", so der Bischof.
Scheuer stellte klar, dass die europäischen Fragestellungen "nicht die ersten sind, die das Dokument bewegt". Auch für Menschen in Europa, in Österreich gelte es freilich, dass sie von den Indigenen in Amazonien lernen könnten: von deren Gewohnheiten, ihrer Lebensweisheit, ihrem Glauben, ihrem sozialen Miteinander, ihrem Umgang mit der Schöpfung.
In diesem Zusammenhang nannte Scheuer ein weiteres zentrales Wort im Papstschreiben: die Kontemplation.
Es geht nicht um die Analyse von Vorgängen, sondern um die Wahrnehmung der Schöpfung in ihrer Schönheit als Gabe und Geschenk.
Daher verwundere es nicht, dass der theologische Sprachduktus des Schreibens jener der Poesie ist. Der Papst zitiere in seinem Text zahlreiche Gedichte.
Viele Fragen auch für Österreich zentral
Bischof Scheuer wies auch darauf hin, dass die im Papstschreiben angesprochenen Fragen der kulturellen Identität, der Entwurzelung, der Landflucht, der Migration, Fragen des Menschenhandels und der Zerstörung von Ressourcen nicht nur Amazonien beträfen:
Wir haben andere Voraussetzungen als in Amazonien, aber diese Fragen stellen sich bei uns auch, ebenso wie auch jene nach unserem Umgang mit Dingen und Menschen.
Papst Franziskus fordere mehrfach eine Umkehr, einen Sinneswandel: in ökologischer, kultureller, sozialer und synodaler Hinsicht. Scheuer: "Eine Erneuerung der Gesellschaft und der Kirche ist nicht ohne Umkehr zu denken. Es geht also nicht nur um politische Forderungen an andere, sondern auch um Fragen des eigenen Lebensstils, der persönlichen Grundhaltungen."
"Unterschiedliche Wege"
Das zentrale Interesse der Europäer und vieler Österreicher richte sich im Blick auf die Synode und das päpstliche Schreiben auf die kirchlichen Strukturen. In diesem Punkt gehe das Dokument "unterschiedliche Wege, die nicht leicht zueinander finden", räumte Scheuer ein: Einerseits werde auf die zentrale Bedeutung der Eucharistie für den kirchlichen Lebensvollzug hingewiesen, andererseits auf die Tatsache, dass in vielen Regionen nur einmal im Jahr Eucharistie gefeiert werde.
"Was das bedeutet, dazu äußert sich der Papst viel vager, viel offener als das Abschlussdokument der Synode. Das kann man unterschiedlich deuten: als große Enttäuschung, dass hier nichts konkret verändert wird, oder auch dahingehend, dass der Papst hier zumindest einmal keine Türen zugemacht hat." Er selbst bevorzuge Zweiteres, so der Bischof. "Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen. Es wird sich auf jeden Fall viel verändern."
Fehlende "Ausrüstung"
Zur Frage der Verantwortung und Mitarbeit von Frauen in der Kirche, die im Dokument bei der "kirchlichen Vision" thematisiert wird, meinte Scheuer:
Papst Franziskus zählt all das auf, was Frauen in den Gemeinden in Amazonien tun: Sie taufen, sie leiten die Gemeinden; Katechese, Diakonie, eigentlich das gesamte kirchliche Leben ist von ihnen getragen - sie sind allerdings von der Jurisdiktion her nicht offiziell dafür 'ausgerüstet'.
Der Weihe von Frauen werde vom Papst eine klare Absage erteilt. Er selbst hätte sich aber gewünscht, sagte Scheuer, "dass die Argumentation etwas zurückhaltender ist bzw. dass sie nicht in Widersprüchlichkeiten führt". Er verstehe die Verwundung, die dadurch entstehe, betonte der Bischof und weiter wörtlich:
Ich wünsche mir ein Aufeinanderschauen, die Wertschätzung von gegenteiligen Positionen, ein Verstehenwollen. Ich bitte einfach darum, dass wir dranbleiben, zusammenhalten und den Respekt voreinander nicht verlieren - mehr kann ich in dieser Situation nicht tun.
Was den Zukunftsweg der Diözese Linz betrifft, fühlt sich Scheuer bestätigt: "Wir planen eine kirchliche Struktur von Pfarren und Pfarrgemeinden, die im Rahmen des Kirchenrechts vielfältige Aufgaben und Verantwortungen verteilt und auch die Wirklichkeit im Territorium, aber auch in den Milieus mit einbezieht: dass wir Kirche vor Ort sein wollen, dass wir Kirche in unterschiedlichen Lebensbereichen sein wollen, dass wir der Diakonie, Bildung und Seelsorge einen hohen Stellenwert einräumen. Auch was die Verantwortung von Laien in Leitungsaufgaben anbelangt, kann man aus dem Apostolischen Schreiben einiges herauslesen."
Hören auf die Indigenen
Pastoralamtsdirektorin Gabriele Eder-Cakl erzählte am Beginn ihres Statements von ihrer Reise nach Peru im Jänner. Ein großes Anliegen, das auch im Papstschreiben ausführlich thematisiert wird, sei das Hören und Ernstnehmen der indigenen Menschen. Eder-Cakl: "Wenn deren Lieder in den Gottesdiensten gesungen werden, wenn ihre Formen des Glaubens ins Feiern einfließen, dann verändert sich automatisch die Kirche. Das ist nicht allen Kardinälen und Bischöfen im Amazonasgebiet recht, wird aber von Papst Franziskus als Notwendigkeit in seinem Schreiben betont: eine Kirche mit dem Gesicht Amazoniens." Dies stimme sie auch für die Katholische Kirche in Oberösterreich hoffnungsfroh:
Auch wir gehen zu den Menschen hinaus, auch wir wollen bei den Menschen sein - und das wird auch hier Kirche verändern.
Begeistert sei sie vom ganzheitlichen Ansatz des Papstes und der Poesie des Schreibens, so Eder-Cakl. Sie erinnerte sich an ihre Reise: "Wenn man drei Stunden lang über den Amazonas fliegt, wird einem bewusst, wie wichtig dieses Gebiet für die Erde und wie schützenswert es ist." Auch in Österreich müsse ein Beitrag zum Schutz von Amazonien geleistet werden, wie die Pastoralamtsleiterin betonte. Die Diözese Linz tue dies unter anderem mit der Umsetzung ihrer Umweltleitlinien.
Eder-Cakl berichtete weiter, ihr sei in Brasilien klar geworden, warum eine Weihe von bewährten verheirateten Männern und von Frauen zu Diakoninnen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Umweltschutz und dem Kampf für Gerechtigkeit stehe: "Damit die Gemeinden vor Ort sich für Umweltschutz und Gerechtigkeit einsetzen könnten, müssten sie gestärkt werden. Die Gemeinden werden schwächer, weil oft nur einmal im Jahr Eucharistie gefeiert wird. Deshalb wechseln viele zu Pfingstgemeinden oder anderen Glaubensgemeinschaften. Deshalb fordern die Menschen vor Ort die Änderungen der Zulassungsbedingungen zu den Weiheämtern - weil sie Menschen brauchen, die vor Ort die Gemeinden beleben."
"Mir sind die Tränen gekommen"
Sehr enttäuscht äußerte sich die Linzer Pastoralamtsdirektorin über die päpstlichen Passagen zum Thema "Frauen und Amt":
Mir sind die Tränen gekommen. Es ist so schmerzlich, wie hier argumentiert wird: Jesus war ein Mann, deswegen sind Priester Männer, und die Frauen sollen sich an Maria halten. Da bleibt mir ehrlich gesagt die Spucke weg. Wir haben seit mehr als 30 Jahren theologische Dokumente und Studien, die zeigen, dass es nicht von Jesu Geschlecht abhängig sein kann, wer ein Amt innehat - das würde ja auch bedeuten, dass Jesus, weil er ein Mann war, nur Männer erlöst hat.
Sie wünsche sich, dass die bestehenden Forschungen ernst genommen würden. "Wir haben alles schon einmal diskutiert. Es heißt immer, wir sollen die Dinge noch reifen lassen - aber vor lauter Reifen-Lassen, scheint mir, werden wir schon ganz runzelig. Und wir verlieren die Geduld", so Eder-Cakl.
Im Papstschreiben werde ausführlich und gut beschrieben, wie wichtig die Frauen für die Gemeinden seien - dies gelte auch für Oberösterreich. Aber, so Eder-Cakl: "Wir müssen im Bereich Weiheamt für Frauen neue Schritte setzen, weil die Frauen die jetzige Situation nicht mehr verstehen. Es sind nicht nur vereinzelte Feministinnen in Österreich und Deutschland, die diese Forderung stellen, sondern es ist eine weltweite Forderung von Frauen in Lateinamerika, Afrika, Asien." Es gebe bei dem Thema kein Vorbeikommen mehr. "Wenn ich sage, ich höre die Leute und nehme sie ernst, wird sich auch die Kirche verändern." Dies sei ihre "Hoffnungsperspektive".
Nicht die Probleme Europas lösen
Christian Mayr, 23 Jahre lang Missionar und von 2013 bis 2018 Generalvikar in der Diözese Barreiras im Nordosten Brasiliens, schilderte bei der Pressekonferenz seinen Zugang zum Papstschreiben. Aus seiner Sicht thematisiert Papst Franziskus in erster Linie den Schrei der Ausgeschlossenen und den Schrei der Erde. Mayr:
Es geht nicht in erster Linie um den Schrei Mitteleuropas. Papst Franziskus prangert Ungerechtigkeit und Verbrechen in Amazonien an - hier ist die Kirche gefordert, an der Seite der Armen zu stehen. Und der Papst betont, dass wir von der indigenen Bevölkerung lernen können: wie man im Einklang mit der Umwelt lebt und sie nicht zerstört, wie man mit wenig zufrieden sein kann.
Die Synode sei nicht dazu da gewesen, die Probleme der Mitteleuropäer zu lösen.
Was die Amtsfrage betrifft, sah Mayr eher ein Konzil als geeigneten Diskussionsraum - eine Ansicht, der sich auch Pastoralamtsdirektorin Eder-Cakl anschloss: "Das Amt muss in seiner Gesamtheit neu gedacht werden, dafür wäre ein Konzil sinnvoll. Mein Wunsch wäre, dass von jeder Diözese ein Mann und eine Frau entsendet werden - damit nicht wieder nur Männer über die Weihe von Frauen diskutieren."
Quelle: kathpress