Van der Bellen bei Auschwitz-Gedenken: "Allzu viele schauten weg"
In der Gedenkstätte des früheren NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau erinnern am heutigen Montag Staats- und Regierungschefs sowie etwa 200 Überlebende an die Befreiung vor 75 Jahren. Nach seinem Besuch des Welt-Holocaust-Forums in Yad Vashem in Jerusalem nimmt Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen auch an der Gedenkveranstaltung in Polen teil. "Auschwitz zu besuchen ist nicht leicht. Aber es ist notwendig", teilte er in einer Stellungnahme im Vorfeld der Zeremonie mit. Gleichzeitig verwies er wie schon in Jerusalem auf die Mitverantwortung Österreichs am Holocaust.
Er empfinde "tiefes Entsetzen" darüber, was im KZ Auschwitz den Menschen angetan wurde und verbeuge sich "in Demut" vor allen Opfern, unter ihnen vor allem Juden, aber auch Roma und Sinti, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer, Deserteure und Kriegsgefangene.
Zugleich "empfinde ich Scham", hielt Van der Bellen fest. Viele Österreicherinnen und Österreicher hätten als Täterinnen und Täter, teils an führender Stelle, bei den "barbarischen Verbrechen" mitgewirkt. "Allzu viele Landsleute liefen mit, schauten weg, zu wenige leisteten Widerstand. Österreich ist mitverantwortlich für den Holocaust", so der Bundespräsident.
Der Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten sei "nicht vom Himmel gefallen", sondern "schon zuvor in der österreichischen Gesellschaft sehr stark präsent" gewesen, erinnerte Van der Bellen:
Aus Abwertung von Menschen wurde Ausgrenzung, wurde Entmenschlichung, wurde Ermordung.
Es sei "gemeinsamer fester Wille und unsere Pflicht", jedem Aufkeimen von Menschenverachtung, Rassismus und Antisemitismus in der Gegenwart, jeder Herabwürdigung und jedem Angriff auf Minderheiten entschieden entgegenzutreten sowie Grund- und Freiheitsrechte kompromisslos zu verteidigen, plädierte Van der Bellen. "Denn die Menschenwürde ist unteilbar."
Überlebende legen Rosen an Todeswand nieder
Bei dem Gedenkakt in dem früheren Vernichtungslager wollten der polnische Präsident Andrzej Duda sowie der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, am Montagnachmittag eine Rede halten. Vor Ort erwartet wurden auch der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin sowie der deute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Papst Franziskus hat den emeritierten polnischen Kurienkardinal Zenon Grocholewski als Sonderdelegierten zu dem Gedenken entsandt.
Schon am Vormittag legten mehrere Dutzend Überlebende rote Rosen für die in Auschwitz Ermordeten nieder. In Begleitung von Polens Präsident Duda brachten sie die Blumen zur sogenannten Todeswand, an der die Nationalsozialisten im Stammlager Auschwitz Häftlinge erschossen. Duda legte einen Kranz nieder. Der Gang der Überlebenden vom Eingang des Lagers mit dem zynischen Schriftzug "Arbeit macht frei" bis zur Todeswand bildete den Auftakt zu den internationalen Gedenkfeiern am 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung.
Gottesdienst mit Überlebenden
Bereits am Sonntagabend hatten Duda und seine Frau Agata Kornhauser-Duda rund 30 Auschwitz-Überlebende empfangen und mit ihnen im Zentrum Dialog und Gebet in der Nähe der Gedenkstätte an einem Gottesdienst teilgenommen. Weihbischof Piotr Greger sagte in seiner Predigt, die Wahrheit, was in Auschwitz-Birkenau geschah, "sollte uns in keiner Weise spalten": "Bemühen wir uns, Einheit an allen Orten zu schaffen, an denen wir jeden Tag sind", so Greger.
Ein Gebet bei dem Gottesdienst sprach die Auschwitz-Überlebende Jadwiga Wakulska aus der polnischen Stadt Lublin. Sie wurde im September 1944 in Auschwitz-Birkenau geboren. Unmittelbar nach der Geburt wurde sie ihrer Mutter weggenommen für die berüchtigten bestialische medizinischen Experimente, die u.a. der Arzt Josef Mengele an den in Auschwitz Gefangenen durchführte.
Das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im von Hitler-Deutschland besetzten Polen gilt weltweit als Symbol für den Holocaust. Nach Schätzungen wurden dort mehr als eine Million Menschen ermordet, zumeist Juden. Als sowjetische Soldaten das Lager am 27. Jänner 1945 erreichten, fanden sie noch etwa 7.000 überlebende Häftlinge vor. Viele von ihnen starben binnen kurzer Zeit an den Folgen von Hunger, Krankheiten und Erschöpfung. Die Nazis und ihre Helfer ermordeten während des Holocaust insgesamt rund sechs Millionen Juden.
Quelle: kathpress