Schuldebatte: Theologin warnt vor "inszeniertem Kulturkampf"
Vor einem "inszenierten Kulturkampf", Ressentiments und Repression gegenüber der muslimischen Bevölkerung warnt die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak. In der aktuellen Diskussion um Missstände an heimischen Schulen, u.a. ausgelöst durch den Bericht der Ex-Ombudsfrau Susanne Wiesinger, würde die Verantwortung für Probleme undifferenziert "allein der 'fremden' Religion zugeschrieben, um sich weder mit sozioökonomischen und politischen Ursachen noch mit Religion auseinandersetzen zu müssen", kritisierte Polak in einem "Wiener Zeitung"-Gastkommentar (Mittwoch). Eine solche Diskussion werde einer demokratischen Gesellschaft, "deren Qualitätsmerkmal der Umgang mit Minderheiten" sei, jedoch nicht gerecht und sei eher "Kennzeichen politischer, spiritueller und letztlich menschlicher Unreife".
In einem derartigen Klima würden "Missstände und Konflikte nicht gelöst, sondern verschärft", beklagte die Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Nicht zuletzt, weil "demnächst wohl eine neue Welle an pauschalen Anfeindungen der muslimischen Bevölkerung auf uns zurollen wird", so Polak, sei jetzt eine differenzierte Sicht dringend notwendig. "Notwendig wären jetzt interdisziplinäre Forschungen und multiperspektivische Recherchen, die um eine differenzierte Analyse und Gewichtung der Missstände ringen."
Religion als "Waffe des Protests"
Die Pastoraltheologin verwies auf die von der NMS-Lehrerin Wiesinger thematisierten Brennpunktschulen und Probleme mit Kindern mit Migrationshintergrund. Hier stelle sich laut Polak auch die Frage, "ob die Konzentration der Probleme in Ballungszentren und insbesondere in bestimmten sozialen Milieus nicht vor allem eine Frage von Armut, Mangel an Teilhabe, Bildung und Zukunftsperspektiven ist". Die betroffen Jugendlichen würden wissen, "dass sie zu den Verachteten und Verlierern der Gesellschaft gehören", so die Theologin.
Als Gegenstrategie wehrten sich die jungen Menschen "mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, unter anderem mit einer hoch problematischen Auslegung islamischer Traditionen", schilderte Polak; der Mangel an religiöser Bildung verbinde sich mit Folgeerscheinungen sozialer Exklusion und kultureller Stigmatisierung. "Religion wird zur Waffe des Protestes gegen die Verweigerung gesellschaftlicher Anerkennung. Das ist dramatisch", mahnte die Pastoraltheologin.
Zur Lösung des Dilemmas verweist Polak neben der Notwendigkeit multiperspektivischer Recherchen rund um Armut und Ausgrenzung, Sprach- und Bildungsprobleme und den tatsächlichen Anteil von Religion daran, auch auf eine Aufwertung religiöser Bildung, die "offenkundig eine Schlüsselrolle" spiele. Islamische Theologen und Communities müssten dabei "den Anteil der eigenen religiösen Traditionen ebenso reflektieren wie Lehrer über Grundkenntnisse eines theologisch reflektierten Islam verfügen müssen, um seinen Deformationen etwas entgegenhalten zu können", hielt die Pastoraltheologin fest.
Kompetente Jugendliche
Anders als im medialen und politischen Diskurs vermittelt, seien Schüler laut empirischen Befunden im Umgang mit kultureller und religiöser Vielfalt "weitaus kompetenter als jene Erwachsenen, die der Ansicht sind, die in einer pluralen, demokratischen Gesellschaft normalen und notwendigen Konflikte seien am besten mit Zwang, Ausgrenzung und Etablierung einer laizistischen Gesellschaft zu lösen", betonte Polak.
Als Beispiel verwies die Theologin auf die Videodokumentationen der Ausstellung "Schulgespräche: Junge Muslim*innen in Wien", die aktuell im Wiener Volkskundemuseum zu sehen ist (www.volkskundemuseum.at/schulgespraeche). In den insgesamt 15 Videos diskutieren Schüler, Lehrer sowie Direktoren über Themen, wie Kopftuch, Ramadan, Geschlechterrollen, islamischen Religionsunterricht sowie interkonfessionelle Beziehungen. Dabei werde deutlich, dass sich die Konfliktlinien nicht zwischen "den Christen" und "den Muslimen" zeigen, so Polak, "sondern zwischen den unterschiedlichen Intensitäten, Auslegungen und Vorstellungen von Religion und deren öffentlicher Rolle". Ein Befund, der auch schon in der Österreichischen Wertestudie 2018 deutlich geworden sei.
Nicht nur Politikern empfahl die Pastoraltheologin schließlich in der aktuellen Debatte eine Differenzierung nach einer Methode der jesuitischen Tradition. So sollte in Konflikten das eigene Urteil vorerst eingeklammert werden, um das Argument des Gegners zu suchen und die Wirklichkeit aus der Sicht der Anderen zu verstehen. Das bedeute weder, dass man Konflikte vermeiden noch die gegnerischen Urteile teilen müsse, so Polak. Wohl aber erweiterte sich die Lösungskompetenz, weil man in Konflikten nicht mehr nur Selbstbestätigung der je eigenen Position suche. Polak:
Diese Übung gehört sicherlich zu den härtesten seelisch-geistigen Herausforderungen, aber sie ist Menschen zumutbar. Auch Politiker dürfen dies von ihren Wählern erwarten.
Quelle: kathpress