Theologie muss vier Lehren aus Missbrauch ziehen
Der Missbrauchsskandal verlangt nicht nur von der Amtskirche Reformen und Präventionsprogramme, sondern er nötigt auch die Theologie zu Revisionen und Korrekturen: Das hat der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Prof. Johann Pock, betont. Konkret sehe er seitens der Theologie vier Lernfelder, schreibt Pock in einem "Kathpress" vorliegenden Redemanuskript: Diese bestehen in einer neuen "Theologie des Amtes", einer Korrektur vermittelter Priesterbilder, einer Revision der Sprachformen und der Stärkung einer zeitgemäßen Anthropologie. Der Vortrag hätte im Rahmen der aktuell an der Universität Wien laufenden Ringvorlesung "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Verbrechen und Verantwortung" gehalten werden sollen, der Vortrag entfiel jedoch aus Zeitgründen.
Bei einer Neujustierung der "Theologie des Amtes" müsse es darum gehen, den Blick von den Weiheämtern hin zur faktischen Pluralität der Amtsformen in der Kirche zu lenken, so Pock. Die Amtstheologie und das in Folge gelebte Amtsverständnis von Priestern müsse "de-sakralisiert" und zugleich "stärker sakramentalisiert" werden: "Also weniger 'herausgehoben' aus dem Alltag als vielmehr 'als Zeichen und Werkzeug' gerade im Alltag der Gemeinden der Menschen verortet als Dienstamt". Und gerade im Blick auf das Thema Missbrauch müsse auch die Frage der Kompetenz neu und verschärft gestellt werden: "Wer für geistliche Begleitung zuständig ist, braucht die konkrete Befähigung dazu; wer für Kinder- und Jugendarbeit zuständig ist ebenfalls".
Pock verband dies mit einer konkreten Forderung nach einem Abschied von der Ansprache "Hochwürden": "Die lange Zeit gängige und auch heute noch sehr verbreitete Anrede als 'Hochwürden' ist meines Erachtens ein Ausdruck nicht nur einer Wertschätzung, sondern schon im Wort versteckt der 'Höherstellung' des Priesters. Daher sollte dieser Begriff nicht mehr verwendet werden" und die Theologie dazu beitragen, "ein falsches, überholtes Ständedenken" und damit den Klerikalismus zu überwinden.
Suche nach neuen Priester-Leitbildern
Missbrauch werde weiters durch "falsche Priesterbilder" und "verquere Autoritätsverständnisse" befördert sowie durch einseitige und teils falsche Gottesbilder. Dies sollte die Theologie nicht auf die leichte Schulter nehmen, da sie schließlich maßgeblich auch für die Etablierung dieser (Selbst)Bilder in Aus- und Fortbildung zuständig sei. Beispiele für solche irreführenden Priesterbilder seien nicht zuletzt die auch von kirchlicher Stelle nicht selten empfohlene Orientierung etwa an Jean-Marie Vianney, dem Hl. Pfarrer von Ars (1786-1859): Ihn als Vorbild zu statuieren verkenne völlig die veränderten Rahmenbedingungen heutiger Seelsorge und auch heutiger Lebenswelten, so Pock. Dagegen plädiert der Pastoraltheologe für die Ausbildung kritischer Theologen, Priester und pastoraler Mitarbeiter, "die keinen Kadavergehorsam einüben, sondern zu einer autonomen Moral und zur Förderung von Gewissensfreiheit beitragen".
Bei der Sprache empfiehlt Pock eine größere Sensibilität für die Unterschiedlichkeit der Sprachspiele in der Verkündigung, der Theologie und der Seelsorge. Die "geordnete Sprache" der Theologie sei kaum geeignet, den Artikulationen von Missbrauchserfahrungen angemessen zu begegnen, die ihre Kraft und Authentizität gerade aus ihrer Ungeordnetheit bezögen. Gleiches gelte für die Verkündigungssprache: "In welcher Form kommt Schuld und Vergebung zur Sprache: Eher moralisierend-einfordernd - oder als Gnadenangebot; als Möglichkeit des Neuanfangs?"
Auch im akademischen Diskurs über die Anthropologie, also das philosophische und theologische Ringen um ein begründetes Verständnis und Reden vom Menschen, gelte es aus dem Missbrauchsskandal zu lernen: "Es geht darum, die Bedeutung der personalen Integrität herauszuarbeiten; die Personenwürde eines jeden Menschen; die Betonung der gleichen Würde aller - egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung", so der Dekan.
Quelle: kathpress