Kirchenaustritte: Mehr Engagement für Jugendliche notwendig
Die Kirche muss sich mehr für junge Leute engagieren. Das ist eine der zentralen Aufgaben, die die Verantwortlichen aus der aktuellen Kirchenstatistik ableiten. Ausschlaggebend für die hohen Austrittszahlen dürfte demnach zum einen eine vor allem bei vielen jungen Menschen kaum noch vorhandene Kirchenbindung sein, zum anderen haben die Kontroverse um die Diözese Gurk oder das Wiederaufflammen der Missbrauchsdebatte viele Katholiken zum Austritt bewogen. Insgesamt wird von den Diözesen eine Austrittswelle diagnostiziert, die ab Herbst 2018 begonnen und im Sommer 2019 dann wieder zurückgegangen ist.
"Vielen Jugendlichen fehlt oftmals schon jede Form eines einfachen Kontaktes mit der Kirche", so der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler am Mittwoch in einer Aussendung. Manchmal mangle es auch an Personen, "die unverkrampft auf junge Leute zugehen, ihre Lebenssituation wahrnehmen und vielleicht dadurch eine noch unbekannte Tür aufmachen. Aus einer solchen Begegnung kann etwas entstehen, denn Glaube wächst in der Gemeinschaft mit konkreten Menschen."
Der Innsbrucker Bischof will aus diesem Grund im kommenden Jahr einige Initiativen für jungen Menschen setzen. Den Beginn macht Ende Jänner ein diözesanes Forum aller Verantwortlichen in der kirchlichen Jugendarbeit. Die Begeisterung für die Jugendarbeit soll dabei neu entfacht und auch einiges an Know-How für den Umgang mit jungen Leuten vertieft werden. Im Februar begleitet der Bischof eine Jugendwallfahrt nach Israel und im Sommer wird eine größere Anzahl von jungen Leuten an der diözesanen Rom-Wallfahrt teilnehmen.
Die Kirche kann heute von den engagierten jungen Leuten ein hohes Maß an "Entschiedenheit und Konsequenz für die Gestaltung der Zukunft lernen", so der Bischof in Anspielung auf die beeindruckenden Klimaschutz-Aktivitäten des vergangenen Jahres, die er auch aktiv unterstützt hat. Er stellt die Diagnose in Abrede, dass die Jugend heute weniger sozial sei als früher.
Kirche überzeugt durch Vielfalt
In der Diözese Innsbruck beträgt die Zahl der KatholikInnen mit Ende Dezember 2019 genau 374.034. Das bedeutet ein Minus von 1,15 Prozent gegenüber dem Jahr davor (378.373). 4.313 Menschen sind im Vorjahr aus der Kirche ausgetreten. 386 Menschen sind wieder eingetreten. 50 Erwachsene (über 14 Jahre) ließen sich taufen.
"Ich erlebe in unserem Land sehr lebendige Pfarren, höchst engagierte Einzelpersonen und viele kirchliche Initiativen, die Mut machen. Umso mehr schmerzt jeder einzelne Kirchenaustritt", stellte der Innsbrucker Diözesanbischof weiter fest. "Vielen ist die Vielfalt kirchlichen Lebens gar nicht bewusst."
Der Bischof dankte zudem ausdrücklich allen, die mit ihrem persönlichen Glaubenszeugnis, ihrem finanziellen Beitrag und einer solidarischen Lebensweise Kirche mittragen. Positiv strich Glettler die weiterhin hohe Zahl von 386 Wiedereintritten und 50 Erwachsentaufen hervor: "Diese persönlichen Entscheidungen haben eine hohe Bedeutung, weil sie auf einer bewussten Wahl beruhen."
Wien: Austrittswelle abgeebbt
Die Erzdiözese Wien meldete für 2019 19.198 Personen, die aus der katholischen Kirche austraten (2018: 17.367). Der Anstieg der Kirchenaustritte in der Erzdiözese Wien habe im Herbst 2018 begonnen und sich im ersten Halbjahr 2019 unvermindert fortgesetzt. "Wir sehen aber, dass sich seit Oktober 2019 die Austritte wieder normalisiert haben", so der Wiener Diözesansprecher Michael Prüller in einer Aussendung. Mit ausschlaggebend für die hohen Austrittszahlen seien die Kontroverse um die Diözese Gurk oder das Wiederaufflammen der Missbrauchsdebatte gewesen, so Prüller.
Freilich: "Auch wenn die Austrittswelle wieder vorbei ist, verpflichten uns diese Zahlen zu größerer Anstrengung", so Prüller. Einerseits sehe man, dass die Wertschätzung für die Arbeit der Kirche in vielen Bereichen wächst: Wir haben auch 2019 wieder Zuwächse bei den Schulen, und wir werden demnächst in Wien unseren 100. Kindergarten eröffnen. Die Caritas der Erzdiözese Wien boomt als Drehscheibe für Ehrenamtlichenarbeit." In der zentralen kirchlichen Kompetenz, den Menschen Nahrung für die Seele zu geben, "müssen wir unseren Einsatz aber noch mehr zur Geltung bringen".
Prüller sieht zwei Stoßrichtungen: Zum einen gehe es darum, "die großartige Arbeit, die in unseren Gemeinden geschieht, noch stärker zu kommunizieren. Die wenigen negativen Schlagzeilen überdecken zu oft das viele Gute, das getan wird." Und zum zweiten müsse die Erneuerung der Gemeinden kraftvoll weitergehen. Prüller:
In der Regel treten Menschen nicht aus, weil sie enttäuscht sind, sondern weil sie nie richtig bei uns angedockt haben. Unsere Antwort darauf ist eine Kirche, die mehr Andockmöglichkeiten bietet - mit Gemeinden, die hinausgehen und die Begegnung mit allen suchen.
Diesbezüglich sei in den vergangenen Jahren schon viel geschehen, so Prüller: "In vielen Pfarren gibt es neue missionarische Initiativen. Mit unserer Strukturreform wollen wir das fördern, indem wir Pfarren miteinander verbinden, Kräfte bündeln und auf Seelsorgeteams statt auf Einzelkämpfer setzen." Diese Entwicklungen, so Prüller, würden sich "nicht heute oder morgen" auf die Austrittszahlen auswirken, aber langfristig die vielfältige Arbeit der katholischen Kirche für die Menschen stärken. "Und das ist es, worauf es ankommt."
Feldkirch: Innovative Jugend-Angebote
Junge Menschen sind auch in der Diözese Feldkirch im Fokus. Gerade diese hätten vielfach wenig Bezug zur Kirche, so Pastoralamtsleiter Martin Fenkart in einer Aussendung. Ein Viertel der ausgetretenen Menschen seien jünger als 30 Jahre. Fenkart:
Wenn der persönliche Bezug und die Beziehung zu aktiven Mitgliedern der Kirche fehlen, liegt ein Austritt nahe. Diese Menschen wollen nicht für etwas bezahlen, was in ihrem Alltag wenig Bedeutung hat.
Um dies zu ändern und junge Menschen zu erreichen, habe die Katholische Kirche Vorarlberg viele innovative Jugend-Angebote ins Leben gerufen - sie sollen auch 2020 fortgeführt werden: das Theo-Forum, die Pasta-Talks, die Pop-up-Church, die Lehrlings- und Maturawallfahrt. In vielen Pfarren würden zudem neue Vorbereitungswege auf die Firmung mit 17 starten. Bischof Benno selbst suche und schätze den Kontakt mit Jugendlichen sehr, hieß es in der Aussendung.
Ein Dorf ohne Kirche?
Gäbe es keine christlichen Gotteshäuser, würde den Dörfern und Städten in Vorarlberg etwas Wesentliches fehlen zeigte sich Fenkart überzeugt. Die Kirchentüren stehen für alle offen - auch für diejenigen, die aus der Katholischen Kirche Vorarlberg ausgetreten sind. Im Jahr 2019 taten dies 3.218 Menschen. Offen stehe ihnen auch der Weg zurück zur Katholischen Kirche. Diesen Weg haben im vergangenen Jahr 141 Personen gewählt.
"Gerade bei den Lebenswenden ist Kirche für viele wichtig", so Fenkart im Blick auf Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung und Begräbnis. Auch darüber hinaus schätzen viele Menschen die selbstverständlich erscheinenden Angebote der Kirche: tausende Sternsinger/innen, Besuchsdienste bei älteren und kranken Menschen, die Reihe "Christen und Muslime im Gespräch", Elternbildung oder Unterstützung in unterschiedlichen Lebenslagen durch das Ehe- und Familienzentrum.
Linz: "Ein Verlust, der schmerzt und auch herausfordert"
Im Jahr 2019 traten aus der Katholischen Kirche in Oberösterreich 11.097 Personen aus, das sind 1,17 Prozent aller Katholiken in Oberösterreich . 857 Personen traten 2019 wieder oder neu in die Kirche ein. 141 Personen haben ihre Austrittserklärung in Antwort auf einen Brief des Diözesanbischofs Manfred Scheuer widerrufen.
"Wenn die Beziehung zur Kirche ohnehin dünn geworden ist, genügt oft eine enttäuschende Erfahrung. Wir erleben auch, wie schwer es ist, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen", so der Linzer Bischofsvikar Wilhelm Vieböck in einer ersten Stellungnahme. Zur Stärkung des Kontakts - über die persönlichen Beziehungen in Pfarren und diözesanen Institutionen hinaus - habe die Diözese Linz im vergangenen Herbst das Magazin "Grüß Gott!" erstmals an alle Haushalte in Oberösterreich gesendet, mit insgesamt sehr positiver Resonanz. Vieböck: "Diesen Weg wollen wir auch 2020 mit einem zweimaligen Erscheinen des Magazins fortsetzen."
St. Pölten: Überlegungen zum Kirchenbeitrag
Nach wie vor gehören rund 70 Prozent der Bevölkerung in der Diözese St. Pölten der katholischen Kirche an, hielt die Diözese St. Pölten am Mittwoch fest. Dank der damit verbundenen relativ stabilen Einnahmen aus den Kirchenbeiträgen könne die Diözese wichtige kirchliche Tätigkeiten in gesellschaftlicher, sozialer und struktureller Hinsicht wahrnehmen, hieß es am Mittwoch in einer Aussendung.
484.107 Katholiken hatten mit Jahresende 2019 ihren Hauptwohnsitz in der Diözese St. Pölten (2018: 490.350). 5.430 Katholiken sind im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten (2018: 4.833). Weiters sind 276 Wieder- und Neueintritte zu verzeichnen (2018: 416), sowie 25 Widerrufe (2018: 33).
"Ziel muss es weiterhin bleiben, die Zahl der Austritte so gering wie möglich zu halten", so Diözesansprecherin Katharina Brandner.
Bischof Alois Schwarz ist es ein Anliegen, in Bezug auf die Art der Vorschreibungen des Kirchenbeitrags Verbesserungen herbeizuführen.
Ein genauer Blick auf die demografischen Daten solle es in Zukunft ermöglichen, konkreter auf all jene Menschen zuzugehen, die austreten wollen oder ausgetreten sind. Bischof Schwarz werde daher den Diözesanrat beauftragen, Vorschläge zu erarbeiten, wie jene Menschen erreicht werden können, die nicht mehr bereit sind, einen Beitrag zur Erhaltung pfarrlicher und seelsorgerischer Strukturen zu leisten."
Der jährliche Blick auf die Kirchenstatistik dürfe nicht der einzige Moment sein, an die Beitragszahlenden zu denken, führt Brandner aus. Hier braucht es konkrete Prozesse, um besser mit den Menschen in Kontakt und Beziehung zu bleiben, so die Diözesansprecherin.
Bischof Zsifkovics: "Offene Analyse"
Der Eisenstädter Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics sieht den mäßigen aber stetigen Rückgang der Katholiken im Burgenland durchaus mit Sorge: "Jeder einzelne Austritt schmerzt. Jeder einzelne Eintritt in die Gemeinschaft der Glaubenden an die Frohbotschaft Jesu ist ein freudiges Ereignis. Die rückläufige Entwicklung der Katholikenzahlen muss nüchtern und schonungslos offen analysiert werden.
Die Kirche soll eine lebendige sein und sie muss die Begeisterung für die Botschaft Jesu zu den Menschen bringen. Genau diese Begeisterung gilt es, im Alltäglichen zu leben. Nur so wird es uns gelingen, die Menschen im 21. Jahrhundert von der Kirche zu überzeugen.
Quelle: kathpress