Theologe Tück: Kirche muss "Ressourcen des Heiligen freilegen"
Strukturreformen alleine genügen nicht, um die Kirche aus der aktuellen Krise herauszuführen; vielmehr brauche es eine Rückbesinnung auf die "Ressourcen des Heiligen, aus denen Generationen vor uns gelebt haben". Das hat der Wiener Theologe Prof. Jan-Heiner Tück in einem Beitrag in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ, 5.1.) betont. Die säkulare Gesellschaft könne solche Ressourcen selbst nicht generieren oder zur Verfügung stellen - dies sei eine Chance für die Kirchen. Schließlich sei der Mensch mehr als nur ein "animal rationale" und brauche Zeichen und Handlungen, um sich der Welt und seines Platzes darin zu versichern. Dazu brauche es "symbolischer Handlungen, die dem Bedürfniswesen Mensch, das Hunger hat und Durst verspürt, das lieben will und sterben muss, entgegenkommen", so Tück.
Sakramente als "Zeichen des Heils in Zeiten der Krise" könnten etwa solche symbolischen Handlungsformen darstellen, zeigte der Dogmatiker auf: "Sie führen den Menschen über sich selbst hinaus und verbinden ihn mit dem Heiligen. Sie sind Riten, die ihm in den Schwellensituationen seines Lebens Halt und Trost geben." Durch eine solche Rückbesinnung auf die Kraft symbolischer Handlungen könnten die Kirchen auch der Auszehrung entgegentreten, der sie sich - "alt, müde und zerstritten" - in Zentraleuropa gegenübersehen würden.
Als Gewährsmann und "unverdächtigen Zeugen" zitiert Tück den Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der wie kaum ein anderer in seiner Zeit "gegen die Verkümmerung des symbolischen Sinns auf den Zirkel der heiligen Handlungen in der katholischen Kirche hingewiesen" habe. "Goethe hat den Kosmos der Sakramente in seiner anthropologischen Bedeutung in ruhiger Diktion erschlossen. Der Protestant und Dichter gibt der katholischen Theologie heute den heilsamen Anstoß, sich nicht nur auf Strukturfragen zu fokussieren, sondern auch die geistlichen Ressourcen neu in den Blick zu nehmen. Ohne Wiederentdeckung des Heiligen, das zur Umkehr und Erneuerung einlädt, kann die gewünschte Reform der katholischen Kirche kaum gelingen."
Skeptisch zeigt sich Tück in dem Zusammenhang im Blick auf Ansätze, die der aktuellen Krise, die auch stark mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs und dessen Vertuschung zusammenhängt, nur mit Schlagworten wie der Aufhebung des Pflichtzölibats, der Öffnung des Amtes für Frauen, der Gewaltenteilung und der Demokratisierung der Kirche entgegneten:
Ein Seitenblick auf die protestantischen Kirchen, in denen alle diese Reformwünsche erfüllt sind, zeigt allerdings, dass die Erneuerung der Kirche noch einmal anders ansetzen müsste.
Quelle: kathpress