Glettler: "Schrumpfen" macht Kirche offener und gastfreundlicher
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler kann das "Schrumpfen" von Kirche zwar nicht begrüßen, trotzdem birgt dieses weniger werden auch eine Chance in sich. Eine Kirche, die notgedrungen kleiner werde, habe damit vielleicht die Chance, innerlich jünger, begeisterter, offener und gastfreundlicher zu werden, sagte er am Dienstag in einem Weihnachts-Interview mit dem "Kurier".
Es ist positiv, dass man sich heute viel bewusster für den Glauben und für Kirche entscheiden muss. Mit Sicherheit waren nicht alle, die früher die Kirchen gefüllt haben, ganz bewusst entschiedene Gläubige.
Allerdings sei mit der "Volkskirche" auch ein sozialer Resonanzraum verbunden. Um Macht in der Gesellschaft gehe es dabei aber nicht, auch wenn diese Versuchung die Kirche lange Zeit entstellt habe. "Volkskirche ist Ausdruck dessen, dass das alltägliche Leben der Leute durch den Glauben geprägt wurde. Religion ohne diesen breiten Resonanzraum, ohne diese kulturelle Dimension, droht einseitig zu werden, im Extremfall sogar fanatisch", so der Bischof.
Kirche müsse sich ausgehend vom zweiten vatikanischen Konzil hinein in die Gesellschaft begeben und versuchen, an vielen Orten möglichst authentisch präsent zu sein. "Kooperationen, Dialog und Begegnung anstelle von geschlossenen Echoräumen. Kirche mit diesem Ansatz versucht am Pulsschlag heutigen Lebens dran zu bleiben", erläuterte Glettler. Allerdings bestehe so die Gefahr, in einer "unüberschaubaren Pluralität" aufgerieben zu werden und Substanz zu verlieren.
Kirche müsse sich an der "anspruchsvollen" Botschaft Jesu ausrichten und damit kritisch gegenüber allem sein, was dem Menschen, seiner Seele und dem Leben insgesamt Gewalt antue. Denn das Evangelium sei als "Gegenerzählung zu allen egoistischen Lebenskonzepten und zu allen weltlichen Heilsversprechungen" zu verstehen. "Wir brauchen diesen heilsamen Widerspruch. Da ist Umdenken, ja Umkehr schlicht notwendig - immer zuerst für mich selbst und dann für die Anderen, für die Welt." Inmitten der Gesellschaft müsse Kirche also im echten Sinn sympathisch, also mitfühlend und mitsorgend sein, aber auch kritisch, so der Bischof.
Keine baldige Lösung bei Frauenfrage
In der Frage über eine mögliche Zulassung von Frauen zu Weiheämtern rechnet der Bischof mit keiner baldigen und endgültigen Frage. "Wahrscheinlich gelingt das nur mit einer repräsentativen Kirchenversammlung zu diesem Thema", sagte er im "Kurier"-Interview. Die Kirche stehe mit der Argumentation, dass aufgrund der päpstlichen Aussagen keine Diskussion mehr stattfinden solle, allerdings sehr fragwürdig da. Positiv sei, dass die Synode "ja keine Tür in dieser Frage verschlossen hat".
Innerhalb der Kirche nimmt er zunehmend eine Enttäuschung und Kränkung wahr, wenn es um diese Frage geht. "Das kann ich verstehen", sagte Glettler. Von einer immer wieder behaupteten generellen Diskriminierung in der Kirche könne allerdings keine Rede sein. Glettler verweist in diesem Zusammenhang zudem auf "noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten", Frauen verstärkt in verantwortliche Positionen zu bringen, bzw. in Entscheidungsprozesse einzubinden. In den letzten 50 Jahren sei hier vieles gewachsen und dieser Weg noch lange nicht abgeschlossen.
Unabhängig davon müsse man in der Kirche aber auch die "beiden Seiten kirchlicher Leitungsverantwortung" stärker betonen. Im heutigen Lebensvollzug der Kirche dominiere die institutionelle, das heißt die sakramentale Seite der Leitungsvollmacht. Jene Seite, die auf Charismen und erprobten Begabungen aufbaut, sei hingegen unterentwickelt. Die hierarchische und demokratische Seite der Kirche würden mit diesem Ansatz in eine "bessere Balance" kommen, so Glettler.
Zölibatär lebender Priester bleibt "Normalfall"
Der Bischof äußerte sich im Interview auch zu einer möglichen Aufhebung des Zölibats. Nach seiner Einschätzung bleibe der zölibatär lebende Priester auch künftig der "Normalfall". Schließlich mach die zölibatäre Lebensform den Priester zu einer Gestalt, "die auf jemanden anderen und etwas anderes verweist". Konkret geht es dem Bischof um mehr Aufmerksamkeit, um eine größere Verfügbarkeit für andere Menschen.
Einen Mangel der Anerkennung des zölibatären Lebens müsse er leider innerhalb der Kirche wahrnehmen.
Wenn wir also zukünftig Ordensberufungen und Priester, aber auch verheiratete Männer und Frauen in pastoralen Berufen und im Religionsunterricht wollen, dann müssen wir die dafür notwendige Atmosphäre schaffen. Ermutigen ist besser als Verdächtigen.
Die Weihe von Personen, die sich im familiären Leben, im Beruf und in der Pfarre bewährt haben, könne er sich auch in Europa gut vorstellen. Das bedinge allerdings eine gute Vorbereitung. Die Rezeption der Empfehlungen, die von der Amazonien-Synode verabschiedet wurden, seien ihm da zu hektisch gewesen. "Das braucht noch einige Zwischenschritte, daher plädiere ich dafür, die westlichen Reformwünsche nochmals mit dem Blick auf die gefährdeten Regionen Amazoniens zu betrachten", so der Bischof.
Das auf einem "eucharistischen Hunger" basierende Argument könne er nicht nachvollziehen. "Den sehe ich nicht", so Glettler wörtlich. Die viel drängendere Frage sei vielmehr: "Wir können wir einen lebensrelevanten Glauben aufwecken?", denn nur eine spirituelle und in der sozialen Praxis authentische Kirche werde Menschen zukünftig faszinieren.
Europa braucht christliche Werte dringender denn je
Angesprochen auf die Zukunft Europas meinte Glettler: Will Europa als Gemeinschaftsprojekt weiterbestehen, braucht es die christlichen Werte dringender denn je. Christlicher Glaube sei ein ganz prägender und befruchtender Faktor europäischer Identität - "über Jahrhunderte herauf bis heute", sagte der Bischof am Dienstag im Weihnachts-Interview mit dem "Kurier". Eine propagierte Rückkehr zur christlichen Identität setze ihm allerdings zu eng an. Schließlich entstehe Identität durch Zuwendung und nicht durch Abgrenzung und christliche Werte seien immer schon im Dialog und in der Auseinandersetzung entstanden, im kulturellen Gemenge.
Europa könne nach Einschätzung des Bischofs den Anforderungen heutiger Zeit gerecht werden, "wenn es stärker als gemeinsamer Organismus agiert und nationale Interessen den gemeinsamen Strategien unterordnet". Es dürfe nicht nur um Grenzsicherung gehen, sondern zu allererst um realistische und großzügige Kooperationen auf allen Ebenen. Europa sei somit zu retten, "wenn es sich möglichst geschlossen für ein gutes Leben einsetzt, von dem niemand ausgeschlossen wird, und vor allem angesichts der Klimakrise den nächsten Generationen nicht die Zukunft abdreht".
Der Angst vieler Christen vor dem Islam hält Glettler entgegen:
Ich habe kein Problem, wenn Muslime ihren Glauben bewusst leben - da können wir einiges lernen. Leere Kirchen irritieren mich mehr als volle muslimische Gebetsräume.
Allerdings gebe es im Islam auch Strömungen, die "sehr bedenklich bis gefährlich sind". Nötig sei deshalb ein differenzierter Dialog der Religionen, ein genaues Hinschauen und ein couragiertes Benennen von Entwicklungen, die man in Europa nicht wolle.
Sorgen bereitet dem Bischof das Erstarken eines islamistischen Fundamentalismus, der sich vor allem in Nordafrika rasant ausbreite. Auf lange Sicht gesehen werde sich weltweit aber auch in den islamisch geprägten Ländern ein Bewusstsein für demokratische Werte durchsetzen, so die Hoffnung Glettlers. Insofern stehe dem Islam noch ein gewisser "Läuterungsprozess" bevor.
Quelle: kathpress