Zulehner 80: Polak würdigt "visionäre Pastoral-Projekte"
Unzählige der Kirchenreformen in Österreich wären ohne die empirischen Studien, die die Basis für Paul M. Zulehners visionäre Pastoral-Projekte bildeten, gar nicht denkbar.
Mit diesen Worten hat die Wiener Theologin Regina Polak das Wirken ihres Vorgängers als Leiter des Universitäts-Instituts für Pastoraltheologie gewürdigt. Als Beispiele nannte sie "Großprojekte" wie die "Europäische Wertestudie", "Religion im Leben der Österreicher", seine "Männer-Studien" oder jene zum "Megatrend Spiritualität". Ebenso wegweisend sei die Gründung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Werteforschung oder der Arbeitsstelle für kirchliche Sozialforschung gewesen.
Polak äußerte sich in einem Gastkommentar in der Wochenzeitung "Die Furche" anlässlich des 80. Geburtstages von Paul Zulehner am 20. Dezember. Dabei rief sie auch die wissenschaftspolitischen Leistungen des bis heute "unbeirrbar hochaktiven" Theologen in Erinnerung - allem voran die Gründung des "Pastoralen Forums", eines Stipendienprogrammes für katholische und orthodoxe Theologinnen und Theologen aus den postkommunistischen Ländern. Zwischen 1992 und 2018 seien 128 Personen promoviert oder habilitiert worden, viele hätten mittlerweile hochrangige kirchliche Positionen in ihren Heimatländern inne. Für diesen "kaum zu überschätzenden Beitrag zur Entwicklung der Pastoraltheologie und Kirche in Ostmitteleuropa" erhielt Zulehner im November 2019 den Ehrendoktortitel der Universität Cluj (Rumänien).
Paul Zulehner sei zugleich ein Gläubiger und ein Priester. "Dies trägt er nicht wie ein Banner vor sich her", schrieb Polak. "Aber vor allem anderen ist er ein Mann Gottes." Seine "furchtlosen, nicht selten provozierenden, aber immer loyalen Einmischungen" in Kirche, Gesellschaft und Politik bezeichnete die Theologin als "prägnante Entfaltung" des Prophetischen im Christentum.
"Pastorale Futurologie": Krise früh erkannt
Der Jubilar selbst kam am Donnerstagabend, am Tag vor seinem runden Geburtstag, in der Ö1-Sendereihe "Im Gespräch" mit Renata Schmidtkunz zu Wort. Zulehner erinnerte darin an seine Entwürfe einer "pastoralen Futurologie", die bereits in der Anfangszeit der Konziliaren Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung die Sorge reflektierte, dass das ökologische System kippen und die Menschheit in einer Sackgasse landen könnte. Wissenschaftler würden heute in Kassandrarufen vor den Folgen des herrschenden neoliberalen Wirtschaftssystems warnen, die Politik sei dafür aus "vielleicht vordergründigen, ökonomistischen Gründen taub", bedauerte Zulehner. Seine Warnung: Ein Wirtschaften, dem es nur um Profitmaximierung statt um das Gemeinwohl geht, "sägt sich den Ast ab, auf dem es sitzt".
Der Theologe verwies auf den französische Dominikaner Jean Baptiste Lacordaire, der bereits im 19. Jahrhundert den ungebrochen gültigen Grundsatz formulierte, dass der Freiheit immer Gerechtigkeit abzuringen sei. Und er hoffe, so Zulehner, dass einer möglichen schwarzgrünen Regierung die Balance zwischen Ökologie und Ökonomie besser gelingt als dies unter schwarzblau der Fall gewesen sei. Er sei beunruhigt darüber, dass sich in vielen europäischen Staaten rechtsgerichtete Strömungen mit ihrer "Politik der Angst" im Aufwind befänden, während die Sozialdemokratie in einer massiven Krise sei. Es brauche aber politische Kräfte, die glaubwürdige Anwälte der kleinen Leute sind.
In dem ausführlichen Gespräch mit Renata Schmidtkunz ging es u.a. auch um Gemeinschaften, in denen junge Männer und Frauen gemeinsam leben, die Bibel studieren und diakonale Projekte verwirklichen: So sollte nach Meinung Zulehners in Zukunft die Ausbildung in Priesterseminaren aussehen. Er äußerte auch seine Überzeugung, dass die Zeit des Zölibats und der Ausschluss der Frauen aus dem Priesteramt absehbar vorbei sei. Weitere Themen: Zulehners Engagement gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche, der "Tango tanzende" Papst Franziskus und das Schwinden von Religiosität in der "Big Data"-Gesellschaft. (Link: https://radiothek.orf.at/oe1/20191219/582521)
Quelle: kathpress