P. Zollner zum Thema Missbrauch:
Ein langer Weg, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen
P. Zollner zum Thema Missbrauch:
Ein langer Weg, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen
Um das durch die Missbrauchskrise verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen, wird die Kirche einen langen Atem und jahrzehntelange ernsthafte Anstrengungen im Bereich der Aufarbeitung und Prävention brauchen. Das hat der deutsche Jesuit P. Hans Zollner im "Kathpress"-Interview betont:
Das geht nicht von heute auf morgen, die Menschen müssen spüren, dass es der Kirche ernst ist und sie wieder ein sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und andere Schutzbefohlene ist.
Zollner hielt am Montagabend an der Universität Wien einen Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Verbrechen und Verantwortung". Der Jesuit ist Theologe, Psychologe und Psychotherapeut und lehrt seit 2003 am Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom; seit 2010 ist er dort Vizerektor. Zollner ist u.a. aber auch Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission und Präsident des "Centre for Child Protection" an der Gregoriana.
Bei seinem Vortrag am Montagabend in Wien berichtete er vor allem über die Aktivitäten dieses Zentrums (www.childprotection.unigre.it). So wurde u.a. ein zweijähriger interdisziplinärer Master-Studiengang "Safeguarding" eingerichtet, der sich an Studierende aus aller Welt richtet. Mit dem zentralen Anliegen, dass die Absolventen ihre Erkenntnisse für ihre jeweilige Kultur und Situation adaptieren.
Vortrag von P. Zollner zum Nachhören & Herunterladen
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Zum vatikanischen Anti-Missbrauchsgipfel im vergangenen Februar befragt, äußerte sich der Kinderschutz-Experte sehr positiv. Der Gipfel habe weltweit Schwung in die Auseinandersetzung mit der Problematik gebracht. Papst Franziskus habe zudem die Kirchenrechtsnormen gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche verschärft. Die neuen Vorschriften des Dokuments mit dem Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) gelten zunächst für drei Jahre und traten mit 1. Juni 2019 in kraft. U.a. müsse jede Diözese bis 1. Juni 2020 ein Prozedere entwickeln, wie Missbrauchsfälle anzuzeigen sind. Ein weiterer wichtiger Schritt sei etwa die allgemeine Meldepflicht für Geistliche und Ordensleute, wenn ein Verdacht von Missbrauch vorliegt. Und es gehe nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um Machtmissbrauch.
"Sag den beiden, dass ich für sie bete"
Papst Franziskus sei das Thema ein besonders großes Anliegen, so Zollner. Er berichtete u.a. dass sich der Papst immer wieder mit Betroffenen privat treffen. Franziskus habe sich bei ihm - Zollner - einmal bei einer Begegnung im Vatikan nach dem Befinden von zwei deutschen Missbrauchsopfern erkundigt, die 15 Monate zuvor in Zollners Begleitung mit dem Papst ein längeres Gespräch geführt hatten. Franziskus habe sich an alle Details noch erinnern können - "an ihre Geschichte, ihren Beruf, woher sie kamen, wie sie familiär aufgestellt waren. Und dann sagte er mir: Sag den beiden, dass ich für sie bete."
Als er dies kurz darauf den beiden Angesprochenen mitgeteilt habe, seien diese davon sehr bewegt gewesen, so Zollner. Es liege in der "großen Verantwortung" der Kirche, wie sie den Glauben lebe und ihre Botschaft glaubwürdig verkünden könne, so der Jesuit. Besonders gelte dies gegenüber den "Kleinsten und Verwundeten", der die Kirche Empathie und Zuwendung schulde.
Unterwegs in 65 Ländern
Zollner berichtete, dass er inzwischen in seiner Funktion als Kinderschutz-Experte in mehr als 65 Ländern in aller Welt unterwegs gewesen sei.
Die Kirche bewegt sich überall, aber es gibt eben auch unterschiedliche Geschwindigkeiten.
Zur Situation der Kirche in Osteuropa wies der Jesuit darauf hin, dass das päpstliche Kinderschutzzentrum im vergangenen September in Zagreb in Zusammenarbeit mit der kroatischen Bischofskonferenz und der örtlichen katholischen Universität eine internationale Konferenz veranstaltet hatte; mit Teilnehmern aus 22 Ländern Mittel- und Osteuropas. Positive Entwicklungen ortete der Jesuit etwa in Polen, Tschechien oder der Slowakei.
Viele Menschen, die im Kommunismus aufgewachsen sind, würden sich aber mit der Thematik außerordentlich schwertun. Als Katholik habe man über Jahrzehnte ein kirchenfeindliches Klima erlebt und die Kirche sei zugleich der letzte Hort von Freiheit gewesen. Priester seien Repräsentanten dieser Freiheit und die einzigen Widerständler gewesen. Und deshalb sei es für viele Menschen so schwer einzugestehen, "dass es auch damals in der Kirche Missbrauch gegeben hat", erläuterte Zollner.
Asien, Afrika, Lateinamerika
Der Jesuit berichtete weiters von positiven Entwicklungen in Indien und auf den Philippinen, aber auch in Myanmar oder Malaysia. In Südafrika sei man relativ weit, aber auch in anderen afrikanischen Ländern wie Simbabwe oder Sambia beginne eine gewisse Sensibilität für die Missbrauchsproblematik zu greifen. Vor zwei Jahren sei dies noch gänzlich anderes gewesen, Missbrauch sei als "westliches Thema" abgelehnt worden. Auch von Reisen nach Mexiko, Peru und Argentinien berichtete der Jesuit. Sein Fazit:
Es tut sich wirklich etwas. Aber es besteht noch ein ungeheurer Bedarf nach Schulung und Ausbildung. Die Kirche jedes Landes müsse für sich herausfinden, wie mit dem Thema Missbrauch im jeweiligen kulturellen Kontext richtig umgegangen wird.
Zollner betonte auf Anfrage weiters, dass Missbrauch nicht nur ein Problem der katholischen Kirche sei. Evangelische und Orthodoxe seien genauso davon betroffen. Freilich gebe es dazu noch wenige Daten bzw. stehe die Aufarbeitung erst am Anfang. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich diesen Herbst erstmals intensiv mit der Aufarbeitung von innerkirchlichem sexuellem Missbrauch befasst. Daten aus den USA würden aber beispielsweise zeigen, dass das Problem in Kirchen der reformatorischen Tradition in etwa gleich groß sei wie in der katholischen Kirche.
Missbrauch und Liturgie
Zollner hatte in der Vergangenheit immer wieder bemängelt, dass es in der Kirche kaum eine Diskussion gebe zur Frage: "Was will Gott uns mit diesem Skandal sagen?" Seine persönliche Vermutung dazu:
Gott will uns aufrütteln. Wir waren zu selbstzufrieden und nicht imstande, adäquat mit Kindern und Jugendlichen umzugehen. Gott ruft uns auf, uneingeschränkt zu dem zu stehen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen und an Verbrechen passiert ist in der Kirche.
Jesus identifiziere sich mit den Verwundeten und denen, die geheilt werden müssen. Es gelte das biblische Prinzip: "Die Wahrheit wird auch frei machen." Nachsatz: "Und nur die Wahrheit."
Im März 2020 werde genau zu diesen Fragen auch ein theologischer Kongress an der Gregoriana stattfinden, kündigte Zollner an. Eine der Fragen, die dabei behandelt werden soll: Wie kann das Thema Missbrauch im Rahmen der Liturgie adäquat eingebracht werden. Zollner: "Viele Betroffenen haben das Anliegen, dass wir für und mit ihnen häufiger beten, als das derzeit der Fall ist." Ganz generell müsse das Leid der Opfer stärker in die Liturgie Platz finden, "in kreativer Weise und die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, selbst zu Wort zu kommen".
Die öffentlichen Vorlesungen an der Universität Wien zum Thema Missbrauch in der Kirche dauern noch bis Ende Jänner 2020. Sie beginnen jeden Montag jeweils um 18.30 im Franz-König-Saal (Hörsaal 6) im Hauptgebäude der Universität Wien (Universitätsring 1).
Quelle: kathpress