Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner wird 80
Auch elf Jahre nach seiner Emeritierung rast der Wiener Pastoraltheologe, Religionssoziologe und Werteforscher Paul M. Zulehner "mit 80 Jahren immer noch wie eine junge Gazelle durch die Weltgeschichte". Das attestierte dem am 20. Dezember seinen runden Geburtstag feiernden Theologen eine seiner Nachfolgerinnen am weltweit ältesten Lehrstuhl für Pastoraltheologe an der Universität Wien, Regina Polak, bei einem Symposium und einer Doktoratsverleihung ihm zu Ehren in Cluj-Napoca (Rumänien). Der Jubilar hält an die 100 Vorträge pro Jahr, seine bis 1959 zurückreichende Publikationsliste ist schier endlos - 100 Monografien, rund 50 Bücher, etwa 700 Artikel - und voll von aktuellen gesellschaftlichen sowie kirchenpolitischen Bezügen.
Der frühere Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien untersucht seit Jahrzehnten gesellschaftliche Entwicklungen, kommentiert sie im Licht des Glaubens und leitet daraus Handlungsimpulse für Kirche und Seelsorge ab. Gleichzeitig ist Zulehner eines der prominentesten "medialen Gesichter" der katholischen Kirche in Österreich. Bekannt für seine pointierten Formulierungen und die Fähigkeit, Theologie auch einer breiten Öffentlichkeit anschaulich zu machen, tritt er häufig als Diagnostiker und Kommentator sozialer, religiöser und kirchlicher Entwicklungen auf.
So ist er z.B. Mit-Initiator der Online-Petition "Pro Pope Francis", mit der bis zur Übergabe an den Papst im Februar 2019 fast 75.000 Personen ihre Unterstützung für dessen Kirchenkurs bekundeten. Die jüngste Petition Zulehners "#Amazonien auch bei uns!" zielt darauf ab, dem Priestermangel nicht nur in Amazonien, sondern auch im deutschsprachigen Raum durch die Weihe "bewährter Personen" - eine bewusste Erweiterung der "viri probati" (bewährten Männer) - abzuhelfen. Nicht nur durch seine Aufforderung an die zuständigen Bischöfe, gemäß der Aufforderung des Papstes "mutige Vorschläge" zu machen, zieht der eloquente Kirchenvisionär den Un-Mut mancher Verantwortungsträger auf sich.
"Hybrid-Theologe des 21. Jahrhunderts"
Zulehners Laudatorin beim Ehrendoktorat in Cluj, Klara Csiszar, bezeichnete ihren früheren Uni-Lehrer als "Hybrid-Theologen des 21. Jahrhunderts", weil er sich sowohl der christlichen Tradition als auch der modernen Welt verbunden fühle. Zulehner setzt seit jeher auf soziologische Instrumentarien zum "organisierten Wahrnehmen der Realität", wie er im Gespräch mit "Kathpress" erklärte. Die Welt sei immer ambivalent, "sie ist nicht so dunkel, wie die Fundamentalisten sie gerne hätten, und sie ist nicht so schön, wie die euphorischen Optimisten sie sehen", es gebe Unterstützenswertes und Widerstand Erforderndes.
Die "Säkularisierung", der Zulehner 1973 seine Habilititationsschrift beim Würzburger Pastoraltheologen Rolf Zerfaß widmete, hält er mittlerweile für einen untauglichen Begriff, um die "bunt" gewordene religiöse Landschaft heutiger westlicher Gesellschaften zu beschreiben. Wo immer Freiheit ist, ist Vielfalt, zitierte Zulehner den von ihm geschätzten US-Religionssoziologen Peter L. Berger. Dass die Kirchenbindung seit Jahrzehnten nachlässt, beschreibt der Wiener Theologe als Wiederannäherung an den "biblischen Normalfall" - nämlich als Minderheit "Salz und Licht der Welt" zu sein. Die Blütezeit des Nachkriegs-Katholizismus sei "erzwungen", gewesen, "jetzt haben wir eine gewählte Katholizität".
Für die nötige "Restrukturierung der Kirche" im Sinne aufklärerischer Errungenschaften wie Gewaltenteilung und Geschlechtergerechtigkeit erwartet sich Zulehner, wie er sagte, mehr Impulse vom "Synodalen Vorgang" in Deutschland als von der Amazonien-Synode in Rom - wo es vorrangig um den Schutz der Schöpfung und Inkulturation gegangen sei. Papst Franziskus leiste mit seiner Dezentralisierung bzw. Synodalisierung jedoch einen wichtigen Beitrag und verweigere sich einem zentralistisch und dadurch viel leichter ausgeübtem Pontifikat.
"Verbuntung" wird anschaulich
Die "Verbuntung der religiösen Landschaft" zeigt sich auch in Zulehners wucherndem Garten mit vielen von ihm gepflanzten Bäumen und Blumen. Seine Vielseitigkeit stellt er auch schon mal durch einen selbstgebackenen Apfelkuchen unter Beweis, den er zum Interview serviert. Körperlich - und geistig - fit hält sich der umtriebige 80-Jährige, wie er erzählt, durch regelmäßiges Jogging im Wald hinter seinem Haus in Wien-Hietzing.
Vielleicht kommen ihm ja deshalb "laufend" Wortschöpfungen in den Sinn wie "Gottesgerücht", "Dach über der Seele", "Übergang gestalten, statt Untergang verwalten", "Leutereligion" oder eben "Verbuntung". Seine Kirchenvisionen fasst der deklarierte Optimist Zulehner immer wieder neu in griffige Prognosen: "In der Verflachung einer durchökonomisierten Nützlichkeitswelt werden die Leute wieder anfangen zu fragen: "War das jetzt alles?!" Spirituelle Fragen "über das Alltägliche hinaus" würden laut. Das sei noch keine Jesusnachfolge, weise aber in die richtige Richtung.
Auch in kommenden Generationen werde es Menschen geben, die in christlichen Gemeinschaften leben und Dienste an der Gesellschaft leisten - im Sinne der Absicht Jesu, dass ein bisschen vom Himmel auf die Erde kommt, zeigte sich Zulehner zuversichtlich. Um gesellschaftliche Strahlkraft zu entwickeln, dürfe sich heutiges Christentum nicht darin erschöpfen, "dass viele Gemeinden am Sonntag einen religiös verschönten Konditoreibesuch feiern". Es sei die "Kernschwäche" der Kirche, "dass wir zusammenkommen, aber Gott die Wandlungsbereitschaft verweigern und nicht anders rausgehen, als wir hineingegangen sind - hinein als um uns besorgte Angsthasen, hinaus als hoffnungskräftige Fußwaschende".
Biografische Notizen
Paul Michael Zulehner hatte 24 Jahre lang den Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Universität Wien inne. Seine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit strahlt weit über die Grenzen Österreichs aus; seine besondere Sorge gilt der Unterstützung der Kirche in Ostmittel- und Osteuropa und dem Dialog der Religionen.
Zulehner wurde am 20. Dezember 1939 in Wien geboren, er studierte in Innsbruck, Wien, Konstanz und München Philosophie, katholische Theologie und Religionssoziologie. Bereits als 22-jähriger promovierte er in Innsbruck beim Sozialethiker P. Johannes Schasching SJ zum Doktor der Philosophie. Seine Dissertation aus dem Jahr 1961 trug den auch heute ungebrochen aktuell wirkenden Titel "Religion ohne Kirche?". 1964 wurde er in Wien zum Priester geweiht, zwei Jahre später folgte in Innsbruck das theologische Doktorat mit einer Arbeit über Kirche und Austromarxismus. Ende der 1960er-Jahre war Zulehner in die Leitung des Wiener Priesterseminars eingebunden.
Über die Stationen Bamberg und Passau führte Zulehners Weg an die Universität Wien, wo er von 1984 bis zum Herbst 2008 den Lehrstuhl für Pastoraltheologie innehatte. Von 2000 bis 2007 war er zudem Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät.
Von 1985 bis 2000 war Zulehner auch theologischer Berater beim "Rat der Europäischen Bischofskonferenzen" (CCEE). Vor 30 Jahren gründete er das "Pastorale Forum zur Förderung der Kirchen in Ost(mittel)europa", 1994 die Arbeitsstelle für kirchliche Sozialforschung. Zulehner ist Mitglied der Europäischen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für seine Forschungen wurde er vielfach ausgezeichnet und mit zwei Ehrendoktoraten (Erfurt und Cluj-Napoca) bedacht.
Quelle: kathpress