"Die Roma können Europa retten, und die Zeit arbeitet für sie"
Mit der Arbeit für die rumänischen Straßenkinder und als Jugendseelsorger ist der Vorarlberger Jesuit Georg Sporschill in Europa bekannt geworden. Zahlreiche Auszeichnungen hat der 73-Jährige erhalten, zuletzt konnte er in diesem Herbst ein italienisches Ehrendoktorat entgegennehmen. Der engagierte Ordensmann, der mehr als 20 Jahre in Bukarest war, widmet sich heute gemeinsam mit der deutschen Pädagogin und Theologin Ruth Zenkert armen Familien in den Romasiedlungen Siebenbürgens. Denn die Straßenkinder der 1990er-Jahre sind mittlerweile Erwachsene, viele davon im Beruf. Was damals ein schockierendes Phänomen war, ist heute aus den rumänischen Städten so gut wie verschwunden.
Zenkert begann nach der Bukarester Zeit mit der Idee zur Arbeit in den Elendssiedlungen, was zur Gründung der "Elijah"-Gemeinschaft (Initiativa Sociala Elijah) führte. Ihr Zentrum ist in Hosman bei Sibiu. Sporschill fungierte sofort als "Rampensau" für "Elijah", wie er sich selbst charakterisiert, und er konnte treue Großspender gewinnen. Der Name der Initiative erinnert an den Propheten Elias und dessen hilfebringenden Raben, die nicht zuletzt auch ein Symbol für das Roma-Volk sind.
Einweihung des fünften "Elijah"-Sozialzentrums
"Elijah"-Einrichtungen sind mittlerweile in fünf Dörfern des transsylvanischen Harbachtals entstanden, und seit Herbst auch in der Stadt Sibiu. Eine adventliche "Kathpress"-Pressereise führte österreichische Journalisten die Pionierarbeit, die Sporschill, Zenkert und das "Elijah"-Team leisten, vor Augen. Höhepunkt war ein großes Folklore-Fest am Nikolausabend aus Anlass der Einweihung des fünften "Elijah"-Sozialzentrums im Harbachtal, der "Casa Martin" in Nou/Neuberg.
Bürgermeister David Ioan sprach bei der Feier im örtlichen orthodoxen Ritus von einem "Geschenk Gottes" für die Armen im Ort. Denn in Nou, wo 90 Prozent der Einwohner Roma sind, seien die Probleme "riesengroß". Doch seit Elijah in Nou tätig ist - seit 2012 -, sei die Gemeinde viel sauberer und schöner geworden, schwärmte Ioan. Die Menschen würden nicht mehr Mist auf die Straße werfen, die Eltern seien entlastet, und sie könnten fixe Arbeitsplätze in der nahen Bezirksstadt annehmen.
Stolz ist Ioan nicht zuletzt auf die "vielen Begabungen" im Bereich der Musik, die von den Elijah-Musiklehrern entdeckt und gefördert würden. Die Musikschule "Casa Thomas" in Nou wird von 150 Kindern und Jugendlichen besucht. Die Instrumente, darunter Saxophon. Klarinette, Akkordeon und Schlagzeug, werden ihnen zur Verfügung gestellt.
Der letzte Sachse starb vor einem Jahr
Die "Casa Thomas", ein früheres Pferdestallgebäude, das einmal einem Siebenbürger Sachsen gehört hatte, war eines der ersten Häuser, das Ruth Zenkert erwarb. Die benachbarte "Casa Martin", jetzt Sozialzentrum, ist die jüngste Erwerbung. Das Haus war jahrhundertelang ein sächsischer evangelischer Pfarrhof.
Der letzte Siebenbürger Sachse von Nou starb allerdings vor einem knappen Jahr. Die Kirche gab deshalb die Immobilie ab. Jetzt findet man darin nicht mehr eine Pfarrersfamilie, sondern eine Kinderkrippe, einen Kindergarten, Klassenräume für das Nachmittagslernen, Freizeiträumen sowie einen Veranstaltungssaal.
In dem Saal hatten die 10- bis 15-jährigen "Elijah"-Schützlinge am Nikolausabend ihren großen Auftritt: Ein weihnachtlichtes Klassik- und Jazzkonzert, Roma-Tänze, moderne Tänze, Tanzakrobatik. Stolz nahmen sie den Riesenapplaus zum Abschluss der "Talentebörse" entgegen.
20 Musiklehrer werden von "Elijah" beschäftigt, weitere 40 Mitarbeiter, die bezahlt werden, lehren in den berufsbildenden Betrieben oder halten die vielen Einrichtungen instand. Es sind mehrheitlich Roma.
60 fixe Mitarbeiter und 20 Volontäre
Der "Elijah"-Trägerverein unterhält eine Tischlerei, eine Gärtnerei, eine Landwirtschaft, eine Hauswirtschaftschule, eine Bäckerei, eine Weberei - sie stellt für eine Schweizer Firma Teppiche her -, und eine Keramikwerkstatt. Zu den 60 fixen Mitarbeitern kommen auch noch 20 Volontäre.
Die Administration des Hilfswerks liegt in den Händen von Ruth Zenkert. Das Werkstattzentrum in Tichindeal leitet die Vorarlbergerin Angela King. Sie gehört schon seit Urzeiten zu den Mitarbeiterinnen der diversen Sporschill-Initiativen, angefangen vom Caritas-Jugendheim in der Wiener Blindengasse. Die 67-jährige begabte Keramikkünstlerin wohnt im entlegenen Roma-Bergdorf Tichindeal/Ziegental in einem Haus ohne Fließwasser.
In einer der nur über einen Schlammpfad erreichbaren Hütten weiter außerhalb wohnt die Familie der 15-jährigen Maria, die als Sängerin Bewunderung findet. Das talentierte Mädchen wurde von Angela King entdeckt.
Maria wuchs als eines von elf Kindern in einer Elendshütte ohne Möbel auf, sieht man von zwei Betten ab. Sie ist die einzige unter den Geschwistern, die die Volksschule besucht hat.
Seit Herbst darf sie unter der Woche im "Elijah"-Schülerheim in der Bezirkshauptstadt Sibiu wohnen. Als die Mutter zu Besuch kam, traute sie sich nicht in einem Sessel Platz zu nehmen, erzählt Heimleiter Bogdan Mihulec. Er verrät der Journalistengruppe auch ein großes Geheimnis: Das Christkind wird Maria ein Handy schenken, ihr sehnlichster Wunsch wird sich erfüllen.
Halbverfallene Häuser so weit das Auge reicht
In Marias Heimatdorf, wo sie jeden Freitagabend mit gemischten Gefühlen eintrifft, um dann am Sonntag wieder in freudiger Aufregung zum Schülerheim zu fahren, gibt es kein Dorfleben mehr - sieht man von der bröckelnden, aber weiterhin funktionierenden orthodoxen Kirche ab. Halbverfallene Häuser so weit das Auge reicht. Die Nichtroma sind weggezogen oder leben im Ausland, ihre Häuser an Roma zu verkaufen würde für sie allerdings schon aus Prinzip nicht in Frage kommen.
Zenkert und Sporschill brachen den Bann, als sie begannen, verlassene Gehöfte zu kaufen und diese Romafamilien zur Verfügung zu stellen. Ein Umdenken in der rumänischen Gesellschaft kann da und dort beobachtet werden. Denn die Zukunft gehört schon aus demographischen und migrationsbedingten Gründen den Roma.
Auch die Kirchen beginnen das zu begreifen. "Doch leider ist die Wirklichkeit in der Regel so, dass Roma als 'Christen zweiter Klasse' angesehen werden, abgesehen von den Freikirchen", so Pater Sporschill. Dort würden Roma tatsächlich als gleichberechtigt behandelt, und deshalb erlebten diese Gemeinden einen starken Zustrom.
Gastfreundschaft, Hoffnung, Religiosität
Wichtiger als die Kirchenzugehörigkeit sei aber, dass Roma im Osteuropa wie in Westeuropa von der Gesellschaft geschätzt werden. Denn sie stehen auch für essenzielle Werte - Lebensfreude, Freude an Tanz und Musik, Gastfreundschaft, Hoffnung, Religiosität. "Das schwarze Tier, der Rabe, vor dem sich alle fürchten, rettet Elias. Die Raben werden auch Europa retten, und die Zeit arbeitet für uns", so Sporschill im Journalistengespräch. Faktum sei nämlich das langsame Sterben der alteingesessenen Landbevölkerung: "Die Rumänen sind alt, sie sind ins Ausland gegangen, und sie haben keine Kinder."
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung habe Elijah eine große Vision und einen großen Ehrgeiz:
Unser Ehrgeiz ist, dass die Jugend der Roma die Möglichkeit hat, in die Schule zu gehen. Nur ein bisschen Bildung und Berufskenntnisse, und du bist in Rumänien eine gesuchte Arbeitskraft.
(Infos: www.elijah.ro)
Quelle: kathpress