Zulehner warnt vor Tappen in die "Zölibatsfalle"
Wer über die Zukunft der Kirche im deutschsprachigen Raum nachdenkt, darf "nicht in die 'Zölibatsfalle' tappen": Das hat der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner bei seinen Überlegungen unterstrichen, wie eine in kirchlichen Gemeinden bzw. Gemeinschaften verfasste "Jesusbewegung" in der nachkonstantinischen Ära aussehen könnte, in der Christsein nicht mehr auf "Schicksal", sondern auf freier Wahl beruht. In einem am Montag veröffentlichten Blog plädiert er für eine zweite Form des priesterlichen Dienstes, die aus konkreten Gemeinden herauswächst, neben der bisherigen, bei der der Bischof die in Priesterseminar und Hochschule Ausgebildeten einer Gemeinde zuteilt.
Als Tappen in die "Zölibatsfalle" wertet Zulehner sowohl "fortschrittliche" Wortmeldungen für die Weihe von verheirateten Diakonen als "viri probati" (bewährten Männern) als auch "konservative" Stimmen, die eine solche Weihe als Anschlag auf die unaufgebbare zölibatäre Lebensform eines katholischen Priesters ablehnen. Beide einander bekämpfende Gruppen würden "an der Vergangenheit hängen und den zukunftsträchtigen Überlegungen der Amazoniensynode nicht gerecht", so Zulehner.
Verständnis für Eucharistie schwindet
Die Feier der Eucharistie umfasst nach der Überzeugung des Wiener Theologen "alle Grunderfahrungen christlichen Lebens" und ist zu verstehen als "Wandlung" der dabei Versammelten: "Hinein gehen sie mit ihren Ängsten, die ihnen die Kraft zu solidarischer Liebe rauben, hinaus gehen sie als engagierte Fußwaschende." Doch das Verständnis für diesen tieferen Sinn der Eucharistie scheine zu verdunsten, bezog sich Zulehner auf noch unveröffentlichte Daten aus der Studie "Religion im Leben der Österreicherinnen 1970-2020": Er sei bei der Auswertung "erschrocken, dass nahezu 80% der KatholikInnen in Österreich in der letzten Umfrage sagen, man könne auch ohne Sonntagsmesse ein guter Christ sein", schrieb Zulehner. "Ist dies der Preis dafür, dass wir die ehelose Lebensform der Priester dem Wert der Eucharistie faktisch überordnen?" Es gehöre zu den ungewollten Nachteilen der Sicherung von gemeindlichen Versammlungen ohne Priester, dass der Wert der Eucharistiefeier "nicht vertieft wurde, sondern eher nach und nach geschwunden ist".
Er kenne die eine oder andere lebendige Gemeinde hierzulande, die durch Priestermangel verursachten "eucharistischen Hunger" leide, erklärte der Theologe. Manche hätten auch schon "bewährte Personen" gewählt, und da und dort beginne schon deren Ausbildung - "in der Hoffnung, dass der Papst den Bischöfen Amazoniens die Ordination solcher Gemeindemitglieder einräumt und auch unsere Bischöfe dem Papst (gewiss modifiziert) ähnliche mutige Vorschläge machen".
Eckpunkte einer "Einzelfalllösung"
Als unverzichtbare "Eckpunkte jener Einzelfalllösung", die Franziskus für Amazonien "demnächst gewähren wird", nannte Zulehner konkrete Gemeinden, in denen Christsein trotz dieses "eucharistischen Hungers" überzeugend gelebt werde, die aus ihrer Mitte bewährte Personen wählen, die dann entsprechend ihrer wahrzunehmenden Aufgabe ausgebildet und dann auf dem Weg des Diakonates zu Priestern geweiht werden.
Damit das Christentum in unseren Breiten lebendig bleibt, braucht es laut Zulehner auskunftsfähige Gläubige, die Jesu Vision von einer "himmelsgetränkten Welt" vermitteln können und die jenseits einer "privat stilisierten Jesusfreundschaft der leuchtenden Augen einladend-missionarische Gemeinschaften bilden. In diesen "Gemeinschaften des Evangeliums" würden die Mitglieder Zeit, Kraft und Begabungen zur Verfügung stellen - manche in den Liturgien, andere in der Verkündigung, weitere in diakonalen Projekten, und einige als mit einer zweiten Ausformung des priesterlichen Dienstes Ausgestattete.
Eine solche Strukturentwicklung beträfe auch den "vorhersehbaren Finanzmangel" in der Kirche, meint Zulehner:
Vielleicht ist es eine der durchaus bedenkenswerten Nebenwirkungen, dass die Entwicklung einer anderen Form des priesterlichen Dienstes die Kirche auch von der Kirchensteuer/dem Kirchenbeitrag unabhängig macht.
Die Kirche habe nach dem Abschied von der traditionellen Gestalt einer Volkskirche ungeheure Aufgaben vor sich. Keine dieser Aufgaben wird nach Zulehners Diagnose durch eine rasche Weihe von "viri probati" gelöst. "Eine solche wäre ja letztlich nichts anderes, als die Kirchengestalt einer vorvatikanischen Klerus- und Priesterkirche künstlich am Leben zu erhalten", warnte der Pastoraltheologe.
Die längst fällige Umwandlung in eine zukunftstaugliche Kirchengestalt würde lediglich aufgehalten werden.
Quelle: kathpress