Pastoraltheologe Pock: Neue religiöse Rituale entwickeln
In katholischen Sonntagsgottesdiensten finden sich mittlerweile nur mehr wenige Prozent der Getauften, zugleich gebe es einen "hohen Bedarf an ritueller Begleitung" an besonderen Lebensereignissen. Dieser Befund führt den Wiener Pastoraltheologen Prof. Johann Pock zur Anregung, in der wissenschaftlichen Theologie neue religiöse Rituale zu erforschen und auch zu entwickeln - so wie dies an seinem eigenen Uni-Institut z.B. von der in Tübingen lehrenden Teresa Schweighofer im Bereich der "freien Ritualbegleitung" geschehen sei.
Es kann nicht primär darum gehen, Menschen in unsere Formen von Liturgie und Ritualen hineinzuzwängen - und möglichst viel Bildungsaufwand und Katechese zu betreiben, damit Menschen gewissermaßen 'liturgiefähig' werden.
So Pock beim Symposium zu Ehren des bald 80-jährigen und dabei mit einem Ehrendoktorat ausgezeichneten Wiener Theologen Paul Zulehner in Cluj-Napoca (Rumänien). Vielmehr brauche es ein Gespür dafür, "welche Rituale und rituellen Formen für die Menschen in unterschiedlichsten Situationen hilfreich, heilend und lebensförderlich sind", so Pock.
Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien skizzierte beim am Donnerstag zu Ende gegangenen dreitägigen Symposium an der Uni Cluj über die Kirche in Ost(Mittel)Europa 30 Jahre nach der politischen Wende 1989 gemeinsam mit seiner Kollegin Regina Polak eine pastoraltheologische Futurologie "in der Spur" des Jubilars Zulehner. Dieser habe immer wieder "nicht distanziert akademisch, sondern leidenschaftlich engagiert" Veränderungen angestoßen und bei Reformen mitgewirkt.
Auch heute "dem Volk aufs Maul schauen"
Pock nahm den Ball nicht nur in Bezug auf religiöses Feiern und Rituale auf, sondern skizzierte Reformbedarf auch in anderen Bereichen: Mit einem kritischen Blick auf die Verkündigungssprache der Kirche merkte der Pastoraltheologe an, man müsse im Sinne Martin Luthers "dem Volk aufs Maul schauen". Die Sprache der Verkündigung sei ebenso wichtig wie die Inhalte, die damit ausgedrückt werden. Dies ist laut Pock "noch wichtiger geworden in einer Zeit von Twitter, Blogs und Facebook".
Predigt und Verkündigung richteten sich schon lange nicht mehr primär oder ausschließlich in einen binnenkirchlichen Raum, wo man Vorverständnisse religiöser oder biblischer Sprache voraussetzen könne. Pock unterstrich den Anspruch, die Frohbotschaft zu übersetzen in eine Begriffswelt, die heute verstanden wird. Aktuelle Homiletik - also Predigtlehre - solle Formen der Verkündigung fördern, "die nicht normativ und belehrend sind", sondern die das religiöse Potenzial der Menschen ernst nehmen und zu heben versuchen.
Nach Überzeugung Pocks dürfe auch Diakonie nicht länger "Stiefkind der wissenschaftlichen Pastoraltheologie" sein, ja die gesamte Theologie müsse den Aspekt, wem sie letztlich dient, stärker beachten. Eine "diakonisch gewendete Pastoraltheologie" frage zum Beispiel: "Was verändert der Blick aus Sicht der Armen an unserer Theologie, aber auch an der Kirche? ... Müsste ein Ernstnehmen gerade der Perspektiven von Papst Franziskus nicht auch unsere theologischen Ansätze verändern?"
Skepsis gegenüber großen Seelsorgeräumen
In Zeiten, da in Österreich und Deutschland immer größere Einheiten der Seelsorge geschaffen und Pfarren zu Seelsorgeräumen zusammengezogen werden, würden auch wissenschaftliche Begleiter solcher Prozesse mit der Fülle der neuen Bezeichnungen kaum mehr mitkommen - "noch weniger jedoch die Menschen vor Ort", wie Pock kritisch anmerkte. Die Gläubigen wünschten sich Bezugspersonen, Seelsorger und Seelsorgerinnen - "und nicht Verwalter von regionalen Großbetrieben".
Trotz des großen Einsatzes für die Aktivierung und Motivation von Gemeindemitgliedern sind in den letzten Jahren immer weniger Christen gemeindlich aktiv, so die Beobachtung des Pastoraltheologen. Dies bedeute nicht, dass diese keine Glaubenspraxis hätten - "nur findet sich diese immer häufiger nicht in den Pfarrgemeinden". Als Konsequenz daraus brauche es einerseits wegen der wachsenden religiösen Pluralisierung der Gesellschaft eine Erforschung der ökumenischen, vor allem aber auch der interreligiösen Gemeinschaft. Zugleich gelte es "Gegenprojekte" aus dem anglikanischen und freikirchlichen Raum in Form von neuen geistlichen Gruppierungen ernst zu nehmen, die auf Anbetung und Mission setzen, sagte Pock.
Und: Gemeinschaftsbildung spiele sich heute vermehrt im Bereich der Social Media ab. "Was macht es mit dem Verständnis von Kirche, dass Communio-Bildung häufig ohne persönlichen Kontakt, sondern digital abläuft? Wie verändert sich eine kirchliche Gemeinschaft, wenn Gebetsformen auf Twitter entstehen?"
Unverzichtbar ist nach den Worten Pocks die von Paul Zulehner als Vorreiter betriebene empirische Sozialforschung als "Proprium der Pastoraltheologie". Der Horizont sei dabei aufgrund der religiösen Pluralisierung auszuweiten: "Kirchliche Sozialforschung kann in Zukunft nur eingebettet werden in den größeren Bereich der Religionsforschung."
Polak: "Nicht im eigenen Saft dahindümpeln"
Auf die hohe Bedeutung von wissenschaftlichen "Fremdprophetien", damit die Pastoraltheologie "nicht nur im eigenen Saft dahindümpelt", wies Pocks Kollegin an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät, Regina Polak hin. Namentlich futurologische, der Zukunfts- und Trendforschung zuzuordnende Fachliteratur sowie Paul Zulehners Impulse in Richtung einer "pastoralen Futurologie" hätten sie selbst am Beginn ihrer Tätigkeit an der Uni Wien sehr inspiriert. Migration und Urbanisierung sehe sie heute als große "Zukunfts-Challenges", verwies Polak auf Daten, wonach in 30 Jahren 80 Prozent der Menschheit in Städten wohnen werde.
Europas Christen seien angesichts der damit einhergehenden Wanderungsbewegungen gefordert, eine humane, Armut mindernde Migrationspolitik mitzuentwickeln. Zugleich lasse der biblische Befund - so die Theologin - hoffen, dass gerade die großen Städte zu Laboratorien werden können, in denen Gott seine Verheißungen einer für jeden und jede einzelnen guten Gesellschaftsordnung verwirklicht.
Quelle: kathpress