Theologe Stowasser: "Kirche droht Frauen zu verlieren"
Die beiden "heißen Eisen" Frauendiakonat und Frauenpriestertum standen im Fokus einer Podiumsdiskussion, die am Montagabend in Wien stattfand. "Die Kirche droht die Frauen zu verlieren", warnte dabei der Wiener Neutestamentler Martin Stowasser. Wenn die Kirche im Blick auf die Frauenfrage nicht handle, könnte es irgendwann zu spät sein und Frauen würden "nichts mehr von der Kirche erwarten, weil sie sich nicht angesprochen fühlen". Auch die Wiener Sozialethikerin Irene Klissenbauer sieht die Kirche bezüglich der Frauenfrage unter Zugzwang: Die Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche müsse ausgeweitet werden, Ämter und kirchlichen Strukturen seien grundsätzlich zu hinterfragen.
Die beiden Theologen äußerten sich am Montagabend im Rahmen der von Wiener Theologie-Studierenden initiierten Diskussionsreihe "Theologie im Gespräch", die unter dem Titel "Die Rolle der Frau in der Kirche. 'Gleichberechtigung' oder von Natur her vorgegebene Unterschiede?" stand. Veranstalter der Reihe ist die Fakultätsvertretung Katholische Theologie an der Universität Wien, die Priesterseminare der Diözesen Wien, Eisenstadt und St. Pölten und das Zentrum für Theologiestudierende.
Der Neutestamentler Stowasser plädierte ausdrücklich für eine Öffnung des Diakonats für Frauen. Im Werte-pluralen Westeuropa könnten Frauen ansonsten nach Alternativen suchen, wenn sich die Kirche in dieser Frage nicht bewege. Er berief sich dabei auf biblische Befunde und Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen insgesamt. Eindeutig sei etwa im Blick auf die Frage des Diakonats der biblische Befund: "Ja, es gab Diakoninnen", so Stowasser, auch wenn sich diese über die Jahrhunderte nicht durchgesetzt haben.
Dass sich Traditionen ändern können, zeigte Stowasser in einem Vergleich mit der Abschaffung der Sklaverei: In biblischen Texten werde die Existenz der Sklaverei und Leibeigenschaft vorausgesetzt und unhinterfragt tradiert. Auch die alte Kirche sprach sich nicht dagegen aus, sie kannte bis zur Zeit Kaiser Josephs II. noch Leibeigene, erklärte Stowasser. Erst durch den gesellschaftlichen Wandel sei die Kirche "eines Besseren belehrt" worden, daher könne man auch in der Frauenfrage von der Gesellschaft lernen. "Ich sehe also kein Problem darin, das päpstliche Schreiben zu negieren", sagte Stowasser in Bezug auf das Apostolisches Schreiben "Ordinatio Sacerdotalis" von Papst Johannes Paul II., in welchem die Weihe von Frauen zur Priestern ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Amazoniensynode lässt vieles offen
Mit Stowasser diskutierte unter der Leitung der ORF-Journalistin Clara Akinyosoye die Wiener Sozialethikerin Irene Klissenbauer. Auch Klissenbauer plädierte für eine Ausweitung der Diskussion rund um die Rolle der Frau in der Kirche: Strukturen und ein tradiertes Amtsverständnis seien grundsätzlich zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund zeigte sich Klissenbauer vom Vorschlag des Abschlusspapiers der Amazonien-Synode, auch Frauen zu Gemeindeleiterinnen ernennen zu können, nicht überzeugt, da dies die eigentliche Ämter- und Strukturfrage unberührt lasse.
Dennoch solle sich die Kirche nach Klissenbauer "nicht einfach nach dem Zeitgeist richten". Die Kirche solle sich nach den zentralen Kernaussagen der Bibel richten und diese zeitgemäß auslegen. In einem weiteren Schritt bedeute dies, die eigenen Strukturen zu hinterfragen und sich zumindest den aktuellen Fragen um die Rolle der Frau zu stellen. Aktuell fehle aber "ein Dialog zwischen den beiden Seiten", kritisierte sie in Bezug auf Verfechter und Gegner des Frauenpriestertums.
Die nächste Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe "Theologie im Gespräch" ist am 23. März 2020 geplant; das Thema ist noch offen (Infos: www.facebook.com/theologieimgespraech).
Quelle: kathpress