Blick in die Ordensarchive:
Erotischen Verse und lügende Steine
Blick in die Ordensarchive:
Erotischen Verse und lügende Steine
In den Archiven der heimischen Klöster und Stifte ruhen noch eine Vielzahl an unbekannten und unentdeckten Kulturschätzen. Dank der Arbeit der Ordenshistoriker und -archivare finden manche dieser wertvollen Unikate mitunter aber doch zurück ans Licht der Öffentlichkeit. Die "OrdensNachrichten", das offizielle Magazin der heimischen Ordensgemeinschaften, haben in ihrer aktuellen Ausgabe einiger dieser kürzlich zugänglich gemachten Funde präsentiert: Erotisches aus der Melker Stiftsbibliothek, die "Königin Europa" aus dem Dominikanerkloster Retz, "Lügende Steine" im Stift Göttweig oder "Das Abbild der Welt" im Stift Neukloster in Wiener Neustadt.
Anfang des Jahres 2019 wurde in der Bibliothek des Benediktinerstifts Melk ein erotisches Gedicht aus dem Mittelalter entdeckt. Der schmale, unscheinbar wirkende Pergamentstreifen mit wenigen Buchstaben pro Zeile ist die bisher älteste Niederschrift des "Rosendorns", in dem eine Jungfrau mit ihrem Geschlechtsteil über Männer diskutiert. Das Gedicht kannte man bisher nur aus zwei jüngeren Versionen. Christine Glaßner vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die das Fragment bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu Handschriften des Mittelalters entdeckt hatte, datierte den Text um das Jahr 1300.
Bisher hatte man angenommen, dass ein solch freier Umgang mit der eigenen Sexualität im deutschsprachigen Raum erst zum Ende des Mittelalters aufgekommen ist, also etwa in der städtischen Kultur des 15. Jahrhunderts. Der Melker Fund revidiert damit die bisherige Forschung. "Das macht deutlich, dass man schon viel früher so frei mit Sexualität umgegangen ist und nicht erst zum Ende des Mittelalters", so Glaßner.
Das Melker Fragment stammt ursprünglich von einem vollständigen Blatt, das zerschnitten wurde und dann als Falzstreifen für den Einband eines lateinischen Werks verwendet wurde. "Natürlich ist es interessant, dass so ein Text in einer Klosterbibliothek gefunden wurde", so Glaßner: "Vielleicht hat man den Text unpassend für ein Stift gefunden und ihn deshalb zerschnitten, aber das können wir nur mutmaßen. Denn andererseits war das eine gängige Methode, um wertvolles Pergament wieder zu verwerten."
Königin Europa im Dominikanerkloster
Die Göttin Europa musste einige Male eine Geschlechtsumwandlung durchlaufen. In der Antike wurde Europa auf Fresken und in Vasenmalerei noch als Frau dargestellt, die eine kurze Affäre mit Göttervater Zeus in Form eines Stieres hatte. Im Mittelalter galt Europa als männlich. Dann fand die Kulturwissenschaftlerin Celine Wawruschka von der Donau-Universität Krems im Museum Retz einen frühneuzeitlichen Holzschnitt, der eine kleine wissenschaftliche Sensation war: Es handelt sich angeblich um die älteste bekannte Darstellung des europäischen Kontinents in Form einer jungen, hübschen Frau: der Europa Regina. Spanien stellt den Kopf der Königin dar, Italien den Arm, Sizilien den Reichsapfel, Österreich und Böhmen liegen in der Körpermitte.
Geschaffen hat diese Karte ein gewisser Johannes Putsch (1516-1542) im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts - und zwar als dezente Erinnerung für die Habsburgerkaiser Karl V. und Ferdinand I., sie mögen gefälligst etwas gegen die Türken unternehmen, um die holde Jungfrau Europa zu (be-)schützen. "Wird also heute über Europa lamentiert, so könnte man dies als Ausdruck ureuropäischer Identität und Tradition auslegen, wie die Königin aus dem Stadtmuseum Retz nahelegt", so Celine Wawruschka. Das Kunstwerk wurde 1838 vom Dominikanerkloster Retz dem kurz zuvor gegründeten Museum Retz zur Eröffnung gespendet.
Lügende Steine im Stift Göttweig
Es war einer der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Fälschungsskandale des 18. Jahrhunderts: Am 31. Mai 1725 brachten drei Jugendliche mehrere Steine zum angesehenen Würzburger Arzt und Universitätsprofessor Johann Beringer (1667-1738). Die Steine sahen aus wie fossile Versteinerungen von kleineren Tieren und Pflanzen, und angeblich hatten die Kinder sie an einem in der Nähe gelegenen Weinberg gefunden. Beringer veranlasste weitere Grabungen - und als man weitere "Figurensteine" fand, erwarb er diese um 300 Reichstaler. In Würzburg verursachte der vermeintlich sensationelle Fund großes Aufsehen und zog weite Kreise - auch bis ins Stift Göttweig.
Abt Gottfried Bessel (1714-49) war immer auf der Suche nach kuriosen Objekten für sein Kunst- und Naturalienkabinet. Also veranlasste er den Würzburger Handelsagenten Georg Joseph Bockleth, einige dieser Steine für seine Sammlung käuflich zu erwerben. Bernhard Rameder, Kustos der Stiftssammlungen in Göttweig, und sein Team haben im Zuge ihrer Archivierungsarbeiten im Briefnachlass des Abtes fünf bis dato unbekannte Briefe mit entsprechendem Inhalt zwischen Bessel und Bockleth gefunden, die das Interesse des Ordensmanns an den Steinen bekundete. Aus ihnen geht auch hervor, dass sieben Steine sowie neun Kupferstichdarstellungen zum Abt ins Stift Göttweig gelangten; leider gingen sie im Laufe der Jahrhunderte verloren.
Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt: Die Steine wurden bald als Fälschung erkannt und gingen als "Würzburger Lügensteine" in die Geschichte ein. Johann Beringer wurde eine Zeitlang selbst als Fälscher verdächtig. Auch wenn er unschuldig war, sein wissenschaftlicher Ruf war für alle Zeit ruiniert.
Kunstschätze in Wiener Neustadt
Die Kunstsammlung im Stift Neukloster in Wiener Neustadt konnte sich in früheren Zeiten durchaus sehen lassen: Sie umfasste ca. 4.700 Einzelstücke, davon 1.000 Kunstkammerobjekte, 200 Gemälde und 3.500 Steine und Muscheln; der Großteil war in der Barockzeit zusammengetragen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Sammlung in kleinerem Umfang zu sehen, danach verschwand sie für mehr als 30 Jahre im Depot und war nicht mehr zugänglich. Doch seit Anfang Mai 2017 sind die Sammlungen der Kunst- und Wunderkammer im Stift Neukloster wieder zugänglich.
Treibende Kraft und guter Geist der Sammlung ist P. Walter Ludwig, ehemaliger Prior des Stiftes Neukloster und Leiter der Kunst- und Wunderkammer. Ihm ist es zu verdanken, dass die Kunstschätze vom Institut für Konservierung und Restaurierung an der Universität für Angewandte Kunst Wien liebevoll restauriert wurden und jetzt wieder ausgestellt werden. So gibt es auch Kurioses zu besichtigen: Korallenkrippen, eine Mumienhand, zwei Käferbilder und eine "versteinerte" Semmel. "Die Sammlung ist fester Bestandteil der Geschichte des Stiftes und damit von Wiener Neustadt", betont P. Walter. Den überwiegenden Teil der Arbeiten finanzierte das Stift Heiligenkreuz, zusätzliche Hilfe kam vom Land Niederösterreich.
Quelle: Kathpress