Kein Schlussstrich im Kampf gegen Missbrauch
Im Kampf gegen Missbrauch und Gewalt darf es keinen Schlussstrich geben, das betonte Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic am Dienstag bei einer Expertentagung mit dem Thema Missbrauch der Diözese Bozen-Brixen. Im Fokus der Tagung unter dem Titel "aufdecken und aufarbeiten" im Pastoralzentrum in Bozen stand der verantwortliche Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche und dessen Prävention. Weitere Vortragende waren u.a. Barnabas Bögle, Abt der Benediktinerabteil Ettal, Robert Köhler, Verhandlungsführer der Betroffenen in der Ettaler Aufarbeitung und Bischof Ivo Muser, der auf die konkrete Situation in der Diözese Bozen-Brixen einging und dabei betonte:
Wir stellen uns nicht auf die Seite der Institution, um nach außen ihr Bild zu retten; wir stellen uns auf die Seite der Opfer.
Die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark war am Höhepunkt der kirchlichen Missbrauchskrise im März 2010 von Kardinal Christoph Schönborn ersucht worden, als Unabhängige Opferschutzanwältin tätig zu werden. In ihrem Vortrag ging sie auf die Entwicklung seither und "10 Jahre unabhängige Opferschutzanwaltschaft in Österreich. Rückwärts blicken - vorwärts schauen" ein.
Gemeinsam mit Klasnic erarbeitete eine ehrenamtliche Expertenkommission aus den Bereichen Recht, Psychiatrie, Psychologie und Pädagogik ein Reglement, wonach Betroffene Hilfeleistungen in vier Kategorien - 5.000, 15.000, 25.000, mehr als 25.000 Euro - erhalten können. Es werde dabei nach einer Plausibilitätsprüfung und ohne Verjährung im Zweifel im Sinne der Betroffenen entschieden, erläuterte Klasnic. Die Opferschutzanwaltschaft stehe demnach im Gegensatz zu Gerichtsverfahren, wo im Zweifel umgekehrt entschieden werde.
Auf dieser Basis hat die Opferschutzkommission demnach bis 30. Juni 2019 2.022 positive Entscheidungen getroffen. Die katholische Kirche Österreichs hat alle Beschlüsse der Kommission mit Zahlungen in der Höhe von knapp 23 Millionen Euro und der Zuerkennung von rund 62.000 Therapiestunden umgesetzt, informierte die Opferschutzanwältin.
"Über Menschen sprechen, nicht über Fälle"
Die Konfrontation mit schmerzhaften und schrecklichen Erfahrungen sowie bewusstes Zuhören kann helfen, "über Menschen zu sprechen und nicht über Fälle", zeigte sich Bischof Ivo Muser überzeugt, der in einer Gesprächsrunde mit den Vortragenden diskutierte.
Es bedürfe jedoch konkreter Schritte, um den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, meinte der Bischof. Dazu gehöre vor allem Vorbeugung und Prävention, die er gleichzeitig als "unsere größte Herausforderung" bezeichnete. Und weiter: "Wir müssen alles Menschenmögliche tun, wir müssen uns mit den verschiedenen Akteuren auf allen Ebenen und mit allen Institutionen vernetzen und das Bewusstsein bei denjenigen wecken, die in der Kirche Verantwortung tragen."
Beilhack: "befreienden Weg der Aufarbeitung"
Von einem aus Sicht einer kirchlichen Einrichtung mühsamen und zugleich befreienden Weg der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen sprach P. Gregor Beilhack, Internatsdirektor an der Benediktinerabtei Ettal in Bayern. Die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch und Misshandlung in Institutionen sei notwendig, strich Beilhack hervor, es brauche aber eine Offenheit, "die manchmal auch schmerzhaft ist". Die ehrliche Bereitschaft der Institution "zu Selbstkritik und 'correctio fraterna'" sei unabdingbar, um die Fälle von Missbrauch und Misshandlung wirklich anzuerkennen und aufzuarbeiten. Nur so können man auch den Weg in die Zukunft positiv gestalten", betonte Beilhack.
"Zielsetzung einer Aufarbeitung ist die Befriedung der Betroffenen, das Erkennen der Ursachen von Missständen und die Ableitung von Maßnahmen in der Zukunft", fasste es Robert Köhler, Verhandlungsführer des Vereins der Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer und selbst Betroffener von Missbrauch, zusammen.
Die Tagung wurde von der 2018 eingesetzten Fachstelle für die Prävention und den Schutz von Minderjährigen vor sexuellem Missbrauch und anderen Formen von Gewalt organisiert.
Quelle: kathpress