"Akute humanitäre Krise in Syrien"
Trotz der aktuellen Waffenruhe zwischen dem türkischen Militär und den kurdischen Einheiten bleibt die Situation im Nordosten Syrien dramatisch. Als eine "akute humanitäre Krise innerhalb einer sehr komplexen humanitären Situation" beschrieb es etwa Judith Hameseder, Jordanien-Delegierte der Caritas, im "Ö1 Journal um acht" am Montag. Im Grenzgebiet zur Türkei sollen mittlerweile 160.000 Menschen durch die türkische Militäroffensive vertrieben worden sein. Vor dem Krieg auf der Flucht suchen sie im Landesinneren Syriens in Notunterkünften, Familien oder Gastfamilien Schutz. In den Notunterkünften würden jedoch "schlechte hygienische Bedingungen" herrschen, so gebe es weder Toiletten noch Waschräume. Das Ausmaß der Katastrophe sei nicht vorstellbar, warnte Hameseder.
"Es fehlt an allem", schilderte die Katastrophenhelferin, die seit vier Jahren in Syrien, Jordanien und dem Libanon arbeitet. Aktuell müsse vor allem die Wasserversorgung dringend wiederhergestellt werden. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen in der nordostsyrischen Stadt Al Hasaka, mit denen die Caritas die Hilfe vor Ort koordiniert, werden Wassertanks in den Notunterkünften aufgestellt. Damit soll der tägliche Bedarf an Wasser gedeckt werden, um sich selbst oder Kleidung waschen zu können. Zusätzlich erhalten die geflüchteten Menschen Trinkwasser, Hygieneartikel und Lebensmittel. Kurz vor dem Wintereinbruch werden auch Decken verteilt, so Hameseder.
Tagtäglich würden die Menschen "erschöpft und müde in den Notunterkünften ankommen", berichtete die Jordanien-Delegierte der Caritas. Die Betroffenen würden nach ihrer Vertreibung vor allem einen Ort brauchen, "wo sie sich entspannen können, wo sie sicher sind und mit dem Notwendigsten versorgt werden, um auch die Menschenwürde aufrecht zu erhalten".
Anspannung trotz Waffenruhe
Für internationale Hilfsorganisationen wie die Caritas bleibe die Sicherheitslage trotz Waffenruhe in Nordsyrien weiterhin angespannt, erklärte Hameseder. So habe "Ärzte ohne Grenzen" ihre Helfer bereits aus dem Krisengebiet abgezogen. "Die lokalen Helfer bleiben aber vor Ort", so Hameseder. Diese seien wichtig, um die Versorgung der geflüchteten Menschen sicherzustellen. "Die Helfer leisten Unglaubliches" und würden den Betroffenen das Gefühl geben, "dass man sie nicht vergessen hat", betonte die Caritas-Mitarbeiterin im Ö1-Interview.
In den nächsten Monaten werde man einen "langen Atem brauchen", denn die aktuelle militärische Eskalation würde die ohnehin schon sehr komplexe Situation in Nordost Syrien nochmals verschärfen, so Hameseder. Eine Verbesserung der Lage sei für die Jordanien-Delegierte der Caritas nur möglich, wenn die Internationale Gemeinschaft zusammenarbeite. Genauso wichtig seien aber auch die Hilfsorganisationen und Spendenaktionen, wie "Nachbar in Not", um den "Menschen auch wirklich beizustehen".
In Syrien sind nach Angaben der Hilfswerke 13,1 Millionen Menschen - mehr als die Hälfte der Bevölkerung - auf humanitäre Hilfe angewiesen. 6,1 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen und sind Flüchtlinge im eigenen Land, 4,8 Millionen sind in den vergangenen acht Kriegsjahren in die Nachbarländer geflohen. Aufgrund der neuerlichen Eskalation im syrisch-kurdischen Grenzgebiet befinden sich alleine 70.000 Kinder unter den vor der militärischen Offensive in Nordsyrien Geflüchteten.
Aktuell gilt in dem Krisengebiet noch die fünftägige Waffenruhe, die zwischen den USA und der Türkei am Donnerstag vereinbart wurde. Seitdem haben sich u.a. kurdische Kämpfer aus der nordsyrischen Grenzstadt Ras al-Ain zurückgezogen. Der Abzug der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), unter denen sich vor allem die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) befinden, war auch Bestandteil der Waffenruhe. Ziel ist u.a. die Errichtung einer sogenannten Sicherheitszone.
(Spendenkonto: "Nachbar in Not"-Flüchtlingshilfe Syrien; IBAN: AT05 2011 1400 4004 4000; Online-Spenden: www.nachbarinnot.ORF.at)
(Caritas-Spendenkonto: BAWAG P.S.K. IBAN: AT92 6000 0000 0770 0004, Kennwort: Syrien; Infos: www.caritas.at)
Quelle: kathpress