Johannes Paul II. und Ratzinger haben Reformen verschleppt
Zu den innerkirchlich diskutierten Reformvorschlägen in Folge des Missbrauchsskandals zählt u.a. die Schaffung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ein Vorschlag, den der Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf mit dem Hinweis begrüßt, dass es dafür bereits ein ausgearbeitetes kirchliches Konzept gebe, das jedoch nie umgesetzt wurde: So sei in den Vorschlägen für eine Reform des Kirchenrechts (das 1983 in den "Codex Iuris Canonici" mündete) genau dieser Punkt der Verwaltungsgerichtsbarkeit enthalten gewesen. "Nur haben Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger ihn rausgestrichen", so Wolf im Interview mit der Nachrichtenagentur "Kathpress".
Daher wäre heute "nicht anderes zu tun, als das, was nach dem Konzil richtig erkannt worden ist, wieder neu zu entdecken und konsequent auf allen Ebenen durchzuziehen." Es brauche demnach laut Wolf einen klaren Instanzenzug von den Diözesen über die Bischofskonferenzen bis nach Rom, "wo Laien über Kleriker in Verwaltungsgerichten urteilen". Wolf äußerte sich am Rande des "Dies facultatis" der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, mit dem in dieser Woche offiziell das neue Wintersemester eingeläutet wurde und zu dem Wolf als Festredner geladen war.
Mit seinen Äußerungen bezog sich Wolf u.a. auf das Projekt eines eigenen kirchlichen Verfassungsrechtes (Lex Ecclesiae Fundamentalis), das in der Entwicklung einer Kirchenrechtsreform in den späten 1970er Jahren eine wichtige Rolle spielte. Das Projekt floss schließlich nur in Teilen in den CIC von 1983 ein - jedoch ohne die notwendigen rechtlichen Vollzugsformen zu benennen bzw. zu schaffen, so die Regensburger Kirchenrechtlerin Prof. Sabine Demel in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk":
Es ist für mich unverständlich, wie ein oberster Gesetzgeber - der Papst -, aber auch die Gesetzgeber der Teilkirchen - also die Bischöfe - guten Gewissens diese Diskrepanz aushalten können, dass im kirchlichen Gesetzbuch einerseits steht, dass jeder Gläubige ein Recht auf Rechtsschutz hat und wir gleichzeitig nicht die adäquaten Mittel haben, um auch diesen Rechtsschutz einfordern zu können.
Vorgeschlagen wurde die Errichtung dieser unabhängigen rechtlichen Anlaufstelle u.a. bereits vom früheren Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, P. Klaus Mertes, und von Kurienkardinal Walter Kasper, der der "Presse" im Februar im Interview sagte, dass solche Verwaltungsgerichte notwendig seien, um dem Skandal des Missbrauchs zu begegnen: In jeder Diözese brauche es solche Gerichte als Ansprechpartner und zugleich als Beschwerdestellen, an die man sich wenden können müsse, "wenn nichts geschieht": "Natürlich muss sich auch jemand, der als Täter angeklagt wird, beschweren können. Dazu braucht es unabhängige Verwaltungsgerichte, die nicht nur von Klerikern besetzt sein sollten. Wir haben viele Frauen und Männer, die Kirchenrecht studieren", so Kasper damals im Gespräch mit der "Presse".
Quelle: kathpress