Salesianer: Kindersoldaten in Kolumbien erneut ein Riesenproblem
Kolumbien droht nach dem mühsam errungenen Friedensvertrag zwischen Regierung und Guerilla derzeit erneut in Gewalt und kriegsähnliche Zustände abzugleiten: Davor hat der in Mendellin tätige Salesianerpriester Carlos Manuel Barrios am Dienstag im Interview mit "Kathpress" gewarnt. "Unser Land steht derzeit vor der ernsten Gefahr, dass die Konfliktparteien wieder zu den Waffen greifen - mit der Ausrede, der jeweils andere erfülle die Abmachungen des Friedensvertrages nicht", sagte P. Barrios. Kinder und Jugendliche aus indigenen Dörfern befänden sich dabei als Spielball für die beteiligten Gruppen im Zentrum der Konflikte: Sie würden von diesen in großem Stil zu Kindersoldaten rekrutiert - finanziell unterstützt von der mexikanischen Drogenmafia.
Im 2016 erlebte Kolumbien, was lange undenkbar schien: Nach über 50 Jahren Bürgerkrieg zwischen Guerilla, Militär und Paramilitärs mit 260.000 Todesopfern und fast 7 Millionen Binnen-Vertriebenen schloss der damalige Präsident Juan Manuel Santos Frieden mit der größten Guerillagruppe Farc. Ein Sondertribunal zur Aufklärung der Kriegsverbrechen, der Einzug der Farc als politische Partei ins Parlament wie auch eine moderate Landreform gehörten zu den Eckpunkten des Friedensvertrages, dessen Umsetzung allerdings mittlerweile ins Stocken geraten ist. Grund dafür ist auch, dass Santos' seit 2018 im Amt befindliche Nachfolger, Ivan Duque, um dessen Aufweichung bemüht ist.
Kolumbien befinde sich in einem "Moment des Zögerns und des Misstrauens gegenüber dem Friedensvertrag", so die Wahrnehmung von P. Barrios, der das Kinderschutzzentrum "Ciudad Don Bosco" leitet. Das Land sei tief gespalten zwischen jenen, die weiter auf Bestrafung der im Bürgerkrieg schuldig Gewordenen pochen und den anderen, die eine Generalamnestie und ein Vergessen des Vergangenen wollen. "Viel Falschinformation ist im Umlauf und das viele Positive wird meist übersehen. Etwa, dass 90 Prozent aller Unterzeichner des Friedensvertrags ihre darin gemachten Verpflichtungen auch erfüllt haben", stellte Barrios klar. Dieser Erfolg dürfe nicht durch die schwarzen Schafe der restlichen zehn Prozent zunichte gemacht werden, betonte der Ordensmann. "Erst recht, da das Volk den Krieg satt hat und Frieden will."
Kolumbiens Fluch
Als prominentestes "schwarzes Schaf" gilt Jesus Santrich, der als Ex-Farc-Anführer den Vertrag mitverhandelte und dann als Abgeordneter im Parlament saß. Im Juni tauchte er unter, als man ihm Schmuggel von zehn Tonnen Kokain in die USA anlastete. "Der Drogenanbau bleibt weiter der Fluch Kolumbiens", erklärte Juan Pablo Sandoval, der in der "Ciudad Don Bosco" Projektkoordinator ist und ebenfalls nach Wien gekommen war. Die Erträge aus dem Koka-Anbau seien astronomisch hoch, die Kontrolle darüber längst in den Händen des Sinaloa-Kartells, das nach dem Ende der Farc-Guerilla nun mit deren Dissidenten, mit der ELN-Guerilla sowie mit Paramilitärs kooperiere - und zwar mit Waffengewalt. Die Menschen vor Ort haben wenig davon: Ihre Dörfer sind arm und von jeder Entwicklung ausgeschlossen.
Die Sorge von P. Barrios und Sandoval gilt besonders den Kindern und Jugendlichen, auf die auch die bewaffneten Gruppen ein Auge geworfen haben.
Minderjährige Burschen wie auch Mädchen sind am leichtesten einzuschüchtern und für Wach- und Kurierdienste oder andere riskante Tätigkeiten im Drogenhandel erpressbar, oder sie werden gekidnappt. Besonders gilt dies für jene aus den Indigenen-Gebieten oder aus den Armenvierteln in den Peripherien der Großstädte, wo die Staatsgewalt keine Macht hat und bewaffnete Gruppen die einzige Autorität und somit auch Rollenvorbilder sind.
Viele Kinder seien zudem mit Krieg, Guerilla und Gewalt im Familienkreis aufgewachsen und würden gar keinen anderen Alltag kennen; die Situation spitze sich zu und sei ein "Riesenproblem", so der Ordensmann.
Neue Lebensziele
Hier kommen die Salesianer Don Boscos ins Spiel, die sich in Kolumbien ganz dem Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewalt und Ausbeutung verschrieben haben. Ihr Einsatz für ehemalige Kindersoldaten, für welche die Salesianer in "Ciudad Don Bosco" das landesweit einzige Zentrum für deren professionelle Betreuung führen - zählt zu den heikelsten Aufgaben des katholischen Ordens. Ein bis drei Jahre dauert es, um die zu Kämpfern ausgebildeten Jugendlichen auf neue Gedanken und eine positive Lebensausrichtung zu bringen. Zu Don Bosco gebracht werden sie oft von Regierungstruppen, die sie auf der Front aufgegriffen haben. Dafür gibt es eine Herberge, Therapien, Schule, Werkstätten und Berufsausbildung sowie Freizeitangebote. Sandoval:
Am Anfang geht es aber immer darum, das Vertrauen der jungen Menschen zu gewinnen - und oft, halbwegs gut Spanisch zu vermitteln, denn viele sprechen nur indigene Sprachen.
So mühsam und herausfordernd diese Tätigkeit auch ist, die Erfolge stellen sich ein - "etwa, dass kürzlich mehrere frühere Farc-Kindersoldaten eine Mechatroniklehre abschlossen und einige Mädchen eine Ausbildung zur Krankenschwester oder Sekretärin schafften", wie Saldoval berichtete. Über Firmen, die Bezug zum Salesianerorden haben, gelingt der Einstieg in die Arbeitswelt. Das Projekt erhält aus Österreich finanzielle Unterstützung von der Organisation "Jugend Eine Welt" sowie auch personelle durch Jugendliche des Vereins "Volontariat bewegt", die in der "Ciudad Don Bosco" für ein Jahr einen Freiwilligeneinsatz leisten. Der Bedarf bleibt weiter groß: 100 Plätze gibt es bei Don Bosco für Kinder zwischen 7 und 17 Jahren. Die Zahl der Kindersoldaten allein in Kolumbien wird indes auf mindestens 13.000 geschätzt. (Infos: www.jugendeinewelt.at)
Quelle: kathpress