Glettler: Intellekt und Glaube nicht gegeneinander ausspielen
Naturwissenschaft und Theologie, Intellekt und Glaube sollten "nicht billig gegeneinander ausgespielt werden": Das hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler in seiner Festpredigt zu "350 Jahre Universität Innsbruck" betont. Religion und Wissenschaft blieben neben ihren positiven Potentialen "dennoch immer manipulierbar", deshalb bedürfe jede Aufklärung ständig einer neuen Aufklärung und jeder Glaube brauche das "kritische Vis-a-Vis" wissenschaftlichen Denkens. "Ohne kritischen Diskurs verkommt die Rede von Gott zu einer bloßen Behauptung", befand Glettler bei dem Dankgottesdienst am Sonntag in der Jesuitenkirche. Anlässlich des Jubiläums fandet vor der Messfeier am Karl-Rahner-Platz auch die Weihe zweier eine Glocken für die Kirche statt.
Der Bischof forderte die wechselseitige Ergänzungsbereitschaft der beiden Bereiche Religion und Wissenschaft gerade angesichts der gegenwärtigen großen globalen Herausforderungen ein: Die fortgeschrittene globale Klimakrise, soziale Schieflagen und ein bedrohter Weltfriede forderten alle Potenziale der Natur- und Geisteswissenschaften heraus. "Wir können es uns nicht mehr leisten, ausschließlich in getrennten 'Welten' zu agieren", sagte Glettler. Es gehe um eine synergetische, zielgerichtete Zusammenarbeit aller Einzeldisziplinen, um einen "ganzheitlichen und deshalb heilsamen Ansatz", den die Welt dringend nötig habe.
"Heute verbindet uns der Dank für eine 350 jährige Geschichte unserer Leopold-Franzens Universität", blickte Glettler in die Geschichte zurück. 1562 wurde in Innsbruck von den Jesuiten zunächst ein Gymnasium errichtet, 1669 erfolgte durch Kaiser Leopold I. die Gründung einer Volluniversität, die durch das sogenannte "Brixener Abkommen" 20 Jahre später ihre volle Autonomie gegenüber der kirchlichen Autorität erhielt. Dieser Schritt war nach den Worten Glettlers die Grundlage für die folgende "Säkularisierung" von Wissenschaft und Forschung und Voraussetzung für die freie Entwicklung der staatlichen Universität.
"Auch für die Kirche war dieses Emanzipationsdatum wichtig", erklärte der Bischof. Er sprach von einem "wichtigen Lernprozess", der sich bis in die Gegenwart fortsetze: "Loslassen von Macht- und Kontrollansprüchen - den Wert von Wissenschaft in ihrer Eigenständigkeit anerkennen".
Frage nach der Verantwortung nicht verdrängen
Freilich dürfe die Frage nach Sinn und Verantwortung nicht verdrängt werden. "Vor allem die naturwissenschaftlich-medizinische Forschung und Wissenschaft führen heute deutlicher denn je in das Grenzgebiet des ethisch Fragwürdigen", bezog sich Glettler auf die Beispiele Stammzellenforschung und Humangenetik. Nicht nur in diesem Fall gehe es um den Zugriff auf den Menschen. Glettler stellte in Frage, ob sich künftig "der garantiert gesunde und ästhetisch gestylte Mensch 'machen' lässt" und welches Leben daneben "verhinderbar" werde.
Wissenschaft und Religion stehen laut Bischof Glettler in einem kritischen Verhältnis zueinander, "das um seiner Fruchtbarkeit willen nicht aufgelöst werden darf". In den 350 Jahren seit der Gründung der Universität habe es viel Gemeinsames, aber auch Gegenläufiges gegeben. Wenn die Kirche anlässlich des Jubiläums Gott danke für die Chancen und Errungenschaften, die sich mit der Wissensinstitution Universität für das Land eröffnet haben, tue sie dies "frei von jeder Absicht einer nachträglichen Vereinnahmung oder Verklärung".
Sowohl die Kirche als auch die Universität müssten sich ihrer Vergangenheit nüchtern stellen, so Glettler. Die jüngste Publikation zur Universitätsgeschichte leiste dies ebenso wie die kreativ-tiefsinnige Umgestaltung des Adler-"Ehrenmals" vor dem Uni-Hauptgebäude: Der Künstler Wolfgang Flatz habe die pathetischen Begriffen Ehre, Freiheit und Vaterland jeweils mit einem fragenden "Welche(s)" ergänzt. Glettler dazu: "Ja, wir sind zum Nachfragen und Nachdenken verpflichtet - und könnten die Intervention erweitern: Welche Wissenschaft? Welche Religion?"
Die beiden Glocken, die vor dem Dankgottesdienst geweiht wurden, ergänzen die zwei bisherigen - die neun Tonnen schwere Herz-Jesu-Glocke und die sogenannte Silberglocke im zweiten Kirchturm: Bischof Glettler weihte zum einen die vom Osttiroler Künstler Peter Raneburger gestaltete Glocke zu Ehren der Märtyrer, die an der Uni Innsbruck studierten, zum anderen die von der Tiroler Künstlerin Nora Schöpfer gestaltete Glocke zu Ehren der Auferstehungszeugin Maria Magdalena. Ko-Zelebranten der Festmesse waren anschließend Universitätspfarrer Gernot Wisser und der Rektor des Jesuitenkollegs Christian Marte. Zu hören war Musik aus der Gründungszeit der Universität: Die Capella Claudiana interpretierte Pietro Andrea Zianis (1616-1684) Messa à 4 ("Sacrae laudes complectentes [...]".
Quelle: kathpress