Tück: Kirchliche Reformen nach Missbrauchsskandal "unumgänglich"
Strukturelle Reformen, die nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern zu wirklicher "Umkehr und Erneuerung" in der Kirche führen, sind angesichts des Missbrauchsskandals "unumgänglich": Das hat der an der Universität Wien lehrende Theologe Prof. Jan-Heiner Tück angesichts der aktuellen Debatte in Deutschland über den sogenannten "synodalen Weg" betont, der in Form eines strukturierten Dialogs zwischen Bischöfen und Laien nach Reformpotenzialen auch und gerade in den bekannten Heiße-Eisen-Themen sucht. "Betroffenheitsbekundungen, die man von hohen Würdenträgern bis zum Überdruss gehört hat, reichen als Antwort ebenso wenig aus wie finanzielle Entschädigungen für die Opfer", schreibt Tück in einem Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ, 5. Oktober).
Zu den Reform-Aufgaben, die es kirchlicherseits anzugehen gelte, zähle ein Abbau des "Klerikalismus" ebenso wie eine "effiziente Kontrolle" der Bischöfe in den Ortskirchen, "damit Vertuschungspraktiken ein Ende haben". Auch der Zölibat dürfe angesichts des akuten "Priesternotstandes", der dazu führe, dass "manche Gemeinden geistlich versteppen (...) kein Tabu sein", forderte Tück. "Nicht ignorieren" dürfe die Kirche weiters, dass sich gesellschaftlich längst die "Choreografie der Geschlechterverhältnisse" verändert habe - und es daher eine institutionelle Förderung von Frauen in der Kirche brauche.
Diese Reformansätze dürften jedoch nicht gegen das andere Großthema, das auch in den als Kritik am deutschen "synodalen Weg" gedeuteten Briefen von Papst Franziskus und Kardinal Marc Ouellet angesprochen wird, missverstanden werden: Das Thema der Evangelisierung. Es wäre falsch, so Tück, "Strukturfragen und Evangelisierung gegeneinander auszuspielen", da es gerade die Reformen seien, die die Chance böten, "die erlahmten Transmissionsriemen der Glaubensweitergabe neu in Schwung zu bringen". Reformen in der Kirche meinten schließlich stets "mehr als Sozialtechnik", sondern immer auch "Umkehr und Erneuerung".
Die von Kritikern des "synodalen Weges" ins Feld geführte Sorge um die Einheit der Kirche weist der Wiener Theologe nicht direkt zurück - sie wurzle jedoch im kirchlich bekannten Problem einer "Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Denkweisen"; und diese Sorge und ein "Pochen auf universalkirchliche Rückbindungen" könne schließlich auch als "Immunisierungsstrategie" benutzt werden, um dringend notwendige Reformen "einfach auszusitzen", warnte Tück.
Zugleich mahnte Tück, den "synodalen Weg" als echte Chance für alle Beteiligten zu betrachten, da er sich "wohltuend von einer Einbahnstraßenkommunikation" abhebe, in der kirchliche Kommunikation allzu oft verharre. Diskussionsverbote und Sanktionsandrohungen würden jedenfalls die Glaubwürdigkeit von Kirche nicht erhöhen und die Chance verringern, dass der "synodale Weg" tatsächlich die Teilnehmer "aus kognitiven Dissonanzen und verhärteten Fronten" herausführe und "möglicherweise überraschende Lösungen" entstehen, so Tück.
Quelle: kathpress