Suizidprävention: Experten pochen auf Hilfen für Hinterbliebene
Suizide können durch rechtzeitige Unterstützung verhindert werden: Das ist die Hauptbotschaft des seit 2003 von der Weltgesundheitsorganisation WHO ins Leben gerufenen "Welttags der Suizidprävention", der jährlich am 10. September stattfindet. In diesem Jahr lenkt der Tag die Aufmerksamkeit jedoch auch auf die Hinterbliebenen von Suizid. Der Vorfall beschäftigt sie oft ein Leben lang, veranschaulichten am Montag Experten und selbst Betroffene bei einer Pressekonferenz der "Telefonseelsorge OÖ - Notruf 142" der Diözese Linz.
"Jeder Suizid betrifft eine große Anzahl an Angehörigen", erklärte Claudius Stein, Ärztlicher Leiter des Wiener Kriseninterventionszentrums. Der Verlust eines Menschen durch Suizid gehöre zu den schmerzlichsten Erfahrungen für einen Menschen, wobei die dabei zurückbleibenden Gefühle wie Trauer, Schuld, Scham und Ohnmacht herausfordernd seien und oft lange anhielten. Auch Hinterbliebene bräuchten ein Gesprächsangebot durch andere, "nicht zuletzt deshalb, da der erfahrene Verlust auch bei ihnen Suizidgedanken auslösen kann", mahnte der Experte zu mehr Sensibilität.
Als selbst Betroffener reflektierte der Journalist und langjährige TV-Produzent Golli Marboe die Erfahrungen rund um den Suizid seines eigenen Sohnes Ende des Vorjahres. Es sei wichtig, die Würde eines Menschen, der sich das Leben genommen hat, zu wahren, betonte Marboe, der vom künstlerischen Schaffen und dem "vollen Leben" seines mit 29 Jahren verstorbenen Sohnes berichtete, den er "nicht als von einer Krankheit ferngesteuerten" in Erinnerung behalte. Die Menschenwürde gehe in der Gesellschaft aber zusehendes verloren, geschürt von einem "menschenverachtenden Klima" sowie von der voranschreitenden Vereinsamung vieler Menschen.
Marboe rief dazu auf, bei der Suizidprävention psychischen Krankheiten einen größeren Stellenwert einzuräumen und die Einnahme von Medikamenten nicht länger zu stigmatisieren.
Bei klaffenden Wunden oder verschobenen Knochen hätten wir keine Sekunde gezögert und wären mit Tobias ins Krankenhaus gefahren. Redet aber jemand wirr oder ist auch depressiv, denkt man: Das wird schon wieder, du musst dich nur ein wenig ausruhen.
Anders als bei körperlichen Verletzungen falle bei psychischen Problemen wie etwa psychotischen Schüben das Vernunftdenken als Unterstützung weg. Vielmehr bräuchten Betroffene Hilfe von außen, mitunter sogar gegen ihren eigenen Willen.
Die Nachbearbeitung eines Suizides scheitere für Hinterbliebene häufig an der Sprachlosigkeit der Umwelt, stellte Marboe fest. Um aus der Falle oft noch anwachsender Schuldgefühle und Selbstzweifel zu kommen, wünschten sich Hinterbliebene mehr Solidarität. Wichtig wäre "ein offener Dialog über Trauer, Schuld, Einsamkeit und den Tod", empfahl der Journalist. Er selbst versuche, das gemeinsam mit seinem Sohn Erlebte und das von ihm Hinterlassene zu formulieren, erzählte Marboe von seiner Trauerarbeit. Da er nicht mehr mit dem Sohn telefonieren könne, schreibe er ihm fast täglich Notizen über das Geschehen zuhause.
222 Kerzen für die Verstorbenen
Am Dienstag, dem Weltsuizidpräventionstag, wird in der Wiener Rupertuskirche um 16 Uhr bei einer Gedenkfeier all jener Menschen gedacht, die durch Suizid gestorben sind. Bei der Feier wird auch Golli Marboe Gedanken über seinen an Suizid verstorbenen Sohn formulieren. Während der Gedenkfeier sollen außerdem 222 Kerzen - eine Kerze für jeden im Jahr 2018 in Wien durch Suizid verstorbenen Menschen - angezündet werden.
Man wolle mit der Gedenkfeier einer Stigmatisierung und Verurteilung der Verstorbenen entgegenwirken, erklärte Marlies Matejka, die Leiterin der Telefonseelsorge Wien, gegenüber "Kathpress". Denn:
Niemand bringt sich gerne um, dahinter steht meist eine lange Leidensgeschichte.
Ziel des "Welttag der Suizidprävention" sei es, das Bewusstsein dafür zu erhöhen, dass Suizide verhindert werden können. Denn so komplex und multifaktoriell das Phänomen mit seinen kulturellen Unterschieden auch sei: Es gebe wirksame Maßnahmen zur Verhinderung.
Quelle: kathpress