Theologe: "Heiße Zeit" erfordert Revolution statt "Reförmchen"
"Eine Revolution und nicht bloß ein paar 'Reförmchen'" ist nach der Überzeugung des kirchlichen Umweltexperten Michael Rosenberger erforderlich, um der Erde auf lange Sicht ein stabiles Ökosystem zu sichern. Es gehe wie im Umkehrruf Jesu im Evangelium um eine "Kehrtwende von 180 Grad", die die gesamte Kultur moderner Industriegesellschaften umgreifen müsse: "Wie wir wirtschaften, wie wir konsumieren, wie wir leben und unsere Freizeit gestalten, nach welchen Werten wir streben" - all das gehe seit den 1950er Jahren in die falsche Richtung, schrieb der Moraltheologe und Umweltsprecher der Diözese Linz unter dem Titel "Heiße Zeit" in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Denken+Glauben" der Katholischen Hochschulgemeinde Graz.
"Heiße Zeit" sei in einem doppelten Wortsinn zu verstehen, so Rosenberger: physisch auf aufgrund der Klimaerwärmung und gesellschaftlich durch die heftiger werdenden Auseinandersetzungen um wirksame Maßnahmen des Klimaschutzes. Laut Eurobarometer wüssten fast alle Menschen in Europa, dass große Verzichtsleistungen notwendig sind. "Aber sobald diese eingefordert werden, entsteht großer Widerstand." Das sei nicht verwunderlich, denn soziale Systeme und Gesellschaften hätten ein starkes Beharrungsvermögen, weiß der an der Katholischen Privatuniversität Linz lehrende Theologe. Sie ließen sich nicht leicht und schnell in die entgegengesetzte Richtung steuern. "Genau das aber wäre erforderlich."
Zwei Bedingungen müssen für die Aussicht auf Erfolg erfüllt werden, so Rosenberger: Zum einen brauche die Marktwirtschaft Regularien, dass für Umweltschäden ein entsprechender Preis zu zahlen ist. Umweltökonomen forderten seit den 1980er Jahren eine langsam, aber stetig steigende Besteuerung der Treibhausgase. Die zweite Bedingung für nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweisen sei eine auch spirituelle Neuorientierung.
Papst will "Rückkehr zur Einfachheit"
Auf diese ziele auch Papst Franziskus ab, wenn er in seiner Enzyklika "Laudato si" festhält, dass von Mystik und Spiritualität beseelte Beweggründe wichtiger seien als Ideen, um eine Leidenschaft für den Umweltschutz zu fördern. Der Papst warb für die "Rückkehr zur Einfachheit" und einen "Lebensstil, der fähig ist, sich zutiefst zu freuen, ohne auf Konsum versessen zu sein". Die Genügsamkeit, die unbefangen und bewusst gelebt werde, sei befreiend, zitierte Rosenberger den Papst. Sie bedeute nicht weniger Leben, nicht geringere Intensität, sondern das Gegenteil. "Die ständige Anhäufung von Möglichkeiten zum Konsum lenkt das Herz ab und verhindert, jedes Ding und jeden Moment zu würdigen."
Der Theologe mit Forschungsschwerpunkt Schöpfungsethik berief sich in seinem appellativen Artikel jedoch nicht nur auf solche Folgerungen aus einer christlichen Spiritualität, sondern auf handfeste naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Rosenberger verwies auf die interdisziplinär erstellten "planetarischen Grenzen" (planetary boundaries), die das Stockholm Resilience Centre gemeinsam mit einigen anderen renommierten wissenschaftlichen Instituten benannte. Unter den neun wichtigsten Indikatoren für die Stabilität des Ökosystems Erde gebe es solche, wo die Forschung noch kein Maß gefunden habe, um die Belastung zu bestimmen: die Emission neuer Substanzen in die Umwelt, die Aufladung der Atmosphäre mit Aerosolen (Feinstaub) und die funktionale Diversität der Biosphäre. Bei anderen Indikatoren hätten die Forscher festgestellt, "dass wir uns global betrachtet noch oder wieder im grünen Bereich befinden": Rosenberger nannte hier z.B. die wirksam bekämpfte Ozon-Belastung der Stratosphäre und die global gesehen gefahrarme Nutzung von Süßwasser.
Vier große ökologische Problembereiche
Bereits bedrohlich sei die Lage jedoch bei der Klimaerwärmung und bei der Landnutzung, also den Eingriffen durch Regenwaldrodung, Versiegelung von Flächen durch Bebauung und Nutzung für Monokulturen der Intensivlandwirtschaft. "Weit überschritten" hin in einen Hochrisikobereich seien die Grenzen bei der Belastung von Boden, Luft und Wasser mit Phosphor und Stickstoff sowie bei der Vielfalt der Gene und Arten, "die fast zur Hälfte vom Aussterben bedroht oder schon ausgestorben sind", wie Rosenberger mitteilte.
Für ihn ist klar, dass die Erderwärmung somit nicht das einzige Umweltproblem ist, das die Menschheit zu lösen hat. Zwischen den genannten vier großen Problemen bestünden aber vielfältige Wechselwirkungen. "Und da die Klimaerwärmung die am leichtesten sichtbaren Folgen zeigt, ist sie zum Symbol all jener Herausforderungen geworden, vor denen wir stehen." Rosenberger würdigte die "unerschütterliche Beharrlichkeit" der in der "Fridays for Future"-Bewegung engagierten jungen Menschen. Diese ließen sich "nicht mit symbolpolitischen Brosamen abspeisen", sondern forderten wirksame Taten.
Quelle: kathpress