Fischler sieht "neue Phase der Geringschätzung der Freiheit"
Europa befindet sich in einer "neuen Phase der Geringschätzung der Freiheit". Nach dem Schockerlebnis des Zweiten Weltkriegs bedrohe das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle die Freiheit, konstatierte der Forum-Alpbach-Präsident und frühere EU-Kommissar Franz Fischler. Im Interview mit der Kooperationsredaktion österreichischer Kirchenzeitungen anlässlich des Europäischen Forums Alpbach zum Thema "Freiheit und Sicherheit" warnte Fischler vor Tendenzen in den USA, Asien, aber auch Europa, dass "vermeintliche Sicherheit wichtiger ist als der Wert der Freiheit". Als Beispiel nannte der ehemalige ÖVP-Politiker die "sogenannte illiberale Demokratie", für die sich etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban steht.
Mit Blick auf die Raucherlobby oder Leugner des Klimawandels und deren Warnung vor einer "Welt voller Verbote" betonte Fischler:
Es gibt keine Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer Menschen.
Auf Freiheit auf Kosten anderer oder auch der zukünftigen Generationen zu pochen "ist nichts anderes als purer Egoismus". Freiheit setze auch Regeln voraus, stellte Fischler klar. Das betreffe sowohl die Gesellschaft, wie auch die Wirtschaft oder die Politik.
Als aktuelles Beispiel nannte der Forum-Alpbach-Präsident den "Brexit", das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Die Befürworter des Austritts geben sich laut Fischler der Illusion hin, dass man sich künftig nicht mehr um die Regeln der EU kümmern müsse. Ausgeblendet werde dabei jedoch, dass auch ein künftiger Handel mit der EU nach definierten Standards erfolgen müsse.
Vor einer neuen Form der Unfreiheit durch Soziale Medien, Smartphones und Algorithmen warnte Fischler im Hinblick auf Überwachung durch Staaten wie China, aber auch durch Unternehmen. Als Hauptprofiteure der neuen Informationstechnologie könnten diese "Unmengen von Daten" sammeln und für gezielte Werbung, aber auch Kontrolle nutzen. Ein einzelner Nationalstaat könne das Problem aber nicht lösen, befand der Ex-Politiker:
Österreich kann nicht verhindern, dass Google Daten sammelt. Das muss auf internationaler Ebene geschehen.
Ähnliches gelte für die Klimakrise. Hier müssten sowohl die Wirtschaft als auch die Konsumenten einen Beitrag zu ihrer Bewältigung leisten. Unternehmen hätten bereits große Fortschritte in der Verringerung der CO2-Belastung gemacht; nun müssten die Konsumenten ihr Verhalten anpassen und z.B. den Fleischkonsum reduzieren oder die Wohnungstemperaturen nach ökologischen Kriterien ausrichten. In Anbetracht dessen seien die Jugendproteste rund um die junge Aktivistin Greta Thunberg wichtig.
Spiritualität in Alpbach
Neben der klassischen Konferenz in Alpbach gibt es in diesem Jahr einen speziellen Platz für "geistige Nahrung und Besinnung auf Grundwerte", erklärte Fischler, der seit 2012 Präsident des Europäischen Forums ist. So gibt es heuer neben den bereits traditionellen interreligiösen Morgenbetrachtungen um 8.15 Uhr auch den Programmpunkt "Abend.Stille", um 18.30 Uhr in Englisch. Damit soll auch das jüngere Publikum gezielt angesprochen werden.
Das Europäische Forum Alpbach ist am 18. August im Rahmen der traditionellen "Tiroltage" feierlich eröffnet worden. Insgesamt werden in Alpbach bis 30. August rund 5.200 Teilnehmer erwartet, darunter auch heuer wieder prominente Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Von österreichischer politischer Seite nehmen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung an den Veranstaltungen teil.
Quelle: kathpress