Theologe: Kirche muss Trend zur Komplexitätsreduktion widerstehen
Einen gesellschaftlichen Großtrend zur Reduktion von Komplexitäten sieht der Salzburger Fundamentaltheologe Martin Dürnberger: In einer sich ständig beschleunigenden und ihre Komplexität steigernden Welt würden vermehrt "Sehnsüchte nach Einfachheit" auftreten - sei es in Form der Suche nach Klarheit in der eigenen Biografie oder in gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Debatten. Auch die Religion sei davon nicht ausgenommen, schreibt Dürnberger in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der "Furche" (25. Juli). Doch gerade aus Sicht der Kirche müsse man auf diese Sehnsucht zwar mit Verständnis, aber auch mit einer gewissen Skepsis und Vorsicht vor diesem "Zug zur absoluten Ein-Stimmigkeit" reagieren.
Dürnberger wörtlich: "Tatsächlich gehört es wohl zu den größten Leistungen theologischer und kirchlicher Meisterdenker, beides zusammengehalten zu haben: das Bekenntnis, das Klarheit erfordert, und das Bewusstsein für die Komplexität des eigenen Glaubens" - und es gehöre zugleich "vermutlich zu den größten Herausforderungen der Gegenwart, diese Balance zu halten oder neu zu etablieren". Religiös lasse sich die Versuchung einer Komplexitätsreduktion etwa in Form "stärker werdender fundamentalistischer und evangelikaler Spielarten" des Glaubens ausmachen, die u.a. versuchen würden, "heiligen Texten ihre Ambivalenz auszutreiben".
Gesellschaftliche Beispiele macht der Theologe, der zugleich Obmann der "Salzburger Hochschulwochen" ist, die in der kommenden Woche das Thema Komplexität behandeln, im Blick auf Technik-Innovationen sowie im Blick auf die Causa "Ibiza-Gate" in der Politik aus: Technologiekonzerne würden heute vor allem daran arbeiten, komplexe Technologien für Anwender möglichst einfach bedienbar zu machen. Und in der Politik würde die "Villa auf Ibiza" sinnfällig zum Ausdruck bringen, "wie populistische Politik die Schnittstellen von komplexen Problemlagen und Einfachheitsbedürfnissen bespielt". Entschlossenheit und ein gewisses Maß an Konformität würden in diesem Verständnis von Politik genügen, um die "Fiktion von Souveränität" zu erzeugen.
Mit dem deutschen Philosophen Jürgen Habermas verweist Dürnberger schließlich darauf, dass der alleinige Hinweis auf ein hohes Maß an Komplexität heute oftmals als "ideologische Ausrede" verwendet werde, "um nichts ändern zu müssen". Darauf hatte Habermas im Rahmen einer Vorlesung aus Anlass seines 90. Geburtstages vor einigen Wochen an der Universität Frankfurt hingewiesen. Auch wenn man nicht wisse, ob die Lösung eines Problems tatsächlich der Komplexität des Problems gerecht werde, dürfe dies nicht davon abhalten, Probleme überhaupt anzugehen. Darin, so Dürnberger abschließend, könne die von Habermas stark gemachte, säkulare Vernunft durchaus auf Allianzen mit dem Glauben setzen:
Es ist zu hoffen, dass sie sich wechselseitig als Mitstreiter erkennen, wenn es darum geht, die großen Probleme der Gegenwart zu bearbeiten.
Die "Salzburger Hochschulwochen" finden heuer vom 29. Juli bis 4. August zum Thema "Die Komplexität der Welt und die Sehnsucht nach Einfachheit" statt. Höhepunkte der "smarten Sommerfrische" in der Mozartstadt sind u.a. die Verleihung des "Theologischen Preises" am 31. Juli an den deutschen Theologen Karl-Josef Kuschel, eine Autorenlesung mit dem Literaten Patrick Roth ("Die Christus Trilogie") am 2. August, sowie ein Sommerfest im Bischofsgarten mit Erzbischof Franz Lackner, Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Schauspieler Georg Bloeb. (Infos und Anmeldung: www.salzburger-hochschulwochen.at)
Quelle: kathpress