"Als Kirche hinken wir zweihundert Jahre hinterher"
Der Amazonas ist geographisch gesehen weit weg von Europa, die Regenwald-Zerstörung bedroht aber auch das Klima der nördlichen Halbkugel. Daran hat Erwin Kräutler, emeritierter Bischof der brasilianischen Amazonas-Diözese Altamira-Xingu, im "Kathpress"-Interview erinnert. Die Folgen der Entwaldung und das Überleben der indigenen Bevölkerung gingen die ganze Welt an und würden durch die vom Papst für Oktober in Rom einberufene Amazonien-Synode in den Fokus gerückt. Kräutler forderte aber auch "neue Zugänge zum Weihepriestertum" und Gleichberechtigung für Frauen in der Kirche. "Dom Erwin", wie der aus Vorarlberg stammende Ordensmann der Missionare vom Kostbaren Blut genannt wird, feiert am Freitag (12. Juli) seinen 80. Geburtstag.
Im Folgenden dokumentiert der "Info-Dienst" ein Interview mit Erwin Kräutler:
Kathpress: Das Amazonas-Gebiet ist weit weg von Europa: Besteht die Gefahr, dass die Amazonien-Spezialsynode von 6. bis 27. Oktober als zu exotisch und spezifisch für Europa abgestempelt wird?
Kräutler: Amazonien hat eine wissenschaftlich erwiesene klimaregulierende Funktion für die gesamte Welt. Das Amazonas-Gebiet ist geographisch weit von Europa entfernt, die skrupellose Zerstörung Amazoniens wird dennoch die Klimaerwärmung auf der nördlichen Halbkugel stark beeinflussen und wird uns auch auf der Synode beschäftigen. Es ist zwar nicht die Aufgabe der Synode konkrete Projekte auszuarbeiten, aber es ist sehr wohl unser Auftrag auf die Folgen der Entwaldung für die ganze Welt hinzuweisen.
Kathpress: Glauben Sie, dass die Amazonien-Spezialsynode auch Folgen für die Weltkirche haben wird, zum Beispiel beim Thema Priestermangel?
Kräutler: Die Synode findet bewusst in Rom statt, erstens weil der Papst an den Sitzungen teilnehmen will und zweitens weil Amazonien eine Angelegenheit der ganzen Welt ist. Unsere Kirche hat den Auftrag, weltweit die Verantwortung der jetzigen Generation für die zukünftigen Generationen einzumahnen. Zudem bin ich der Überzeugung, dass gerade der eklatante Priestermangel in Amazonien uns verpflichtet, neue Zugänge zum Weihepriestertum zu suchen, die dann ganz sicher auch anderen Kontinenten mit ähnlichen Problemen und Realitäten neue Wege aufzeigen.
Kathpress: Der eklatante Priestermangel ist ja nicht nur ein Thema im Amazonas-Gebiet ...
Kräutler: Ja, der Priestermangel ist auch ein Thema in Österreich und Europa. Aber die Schaffung von Pastoralräumen (Anm.: in einigen österreichischen Diözesen bereits Realität bzw. noch in Diskussion) ist keine Lösung, sondern nur ein palliativer Behelf, der die wenigen Priester mit noch mehr Verantwortung überhäuft. Aber wie wird es in zehn, zwanzig Jahren in den österreichischen Diözesen aussehen?
Kathpress: Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Stellung der Frau in der Kirche ein? Wird es auch hier neue Wege brauchen?
Kräutler: In vielen Teilen der katholischen Welt geht die Geduld der Frauen schön langsam zu Ende. Die Frauenfrage in der Kirche ist längst von einer existentiellen Wichtigkeit. Heute sind die Frauen in allen früher von Männern dominierten Berufszweigen tätig und übernehmen im öffentlichen Leben und in der Politik Verantwortungsfunktionen, sind Staatsminister, Präsidentinnen, Leiterinnen von Ressorts, Unternehmerinnen, Managerinnen usw. Sie kämpfen weiter um eine geschlechterspezifische Gerechtigkeit. Als Kirche hinken wir zweihundert Jahre hinterher.
Kathpress: Vielfach werden "Viri probati" als Lösung des Priestermangels vorgeschlagen. Was halten Sie vom Modell der "bewährten Männer"?
Kräutler: Der Ausdruck "Viri probati" grenzt von vornherein die Frauen aus. Ich weiß, es ist nicht einfach, sich gegen den von Papst Johannes Paul II. 1994 in seinem Apostolischen Schreiben "Ordinatio Sacerdotalis" zementierten Ausschluss der Frauen vom Weihepriestertum zu stellen. Doch auch wenn der Papst damals erklärte, "alle Gläubigen der Kirche haben sich endgültig an diese Entscheidung zu halten", handelt es sich nicht um ein Dogma. Dieses Schreiben hat nicht einmal den Stellenwert einer Enzyklika. Also kann das "Verbot" von Johannes Paul II. auch revidiert werden, das wäre auch "nichts Neues unter der Sonne" (Kohelet 1,9). Nur zwei Beispiele: Pius IX. verbot 1868 in seiner Bulle "Non expedit" den italienischen Katholiken an politischen Wahlen des Regno d'Italia teilzunehmen. Benedikt XV. hob dieses Verbot 1919 offiziell auf. Papst Pius X. war gegen die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung. Pius XII. öffnete 1943 mit seiner Enzyklika „Divino afflante Spiritu“ die Tür. Wie der Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner ziehe ich es darum vor, von "personae probatae" (bewährte Personen) zu sprechen.
Kathrpess: Bischof Erwin Kräutler, Sie gehören dem sogenannten vorsynodalen Rat zur Vorbereitung der Synodenversammlung der Amazonien-Spezialsynode an und waren auch an der Entwicklung des Arbeitspapiers für die Synode beteiligt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Endergebnis?
Kräutler: Das "Instrumentum Laboris" (Arbeitspapier) für die Synode basiert auf den Antworten tausender Gemeindemitglieder auf die Fragen, die der Vorsynodale Rat, in den mich Papst Franziskus berufen hat, in einem ersten vorbereitenden Dokument ausgearbeitet hat. In Versammlungen der kleinen und größeren Gemeinden, in indigenen Dörfern, in den Städten und auf dem Land, entlang der Flüsse und bis in den letzten Weiler an einer Nebenstraße sind die Leute zu Wort gekommen und haben sich mutig über die Themen äußern können.
Kathpress: Plump gefragt: was geht Europa und Österreich der Amazonas an? Warum sollte sich zum Beispiel eine Kirche in Österreich dafür interessieren, welche Konflikte die indigene Bevölkerung Brasiliens bedrohen?
Kräutler: Auf diese Frage antworte ich mit den Bischöfen Österreichs, die bei ihrer Sommervollversammlung vom 17. bis 19. Juni in Mariazell erklärten: "Als Bischöfe sind wir nicht nur in den Dienst der uns anvertrauten Diözesen gestellt, sondern wir tragen Mitverantwortung für die ganze Weltkirche. Wenn einer ihrer Teile, wie die Kirche im Amazonasgebiet, unter Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung leidet, dann ist davon die ganze Kirche betroffen."
Kathpress: Sie leben seit 1965 in Brasilien und haben von 1981 bis 2015 als Bischof von Altamira-Xingu die flächenmäßig größte Diözese Brasiliens geleitet. Wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage unter den seit Jahresbeginn amtierenden brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro ein?
Kräutler: Wir leben in einer sehr schwierigen Situation. Die Zeichen stehen auf entschiedenem Widerstand gegen die Regierung Bolsonaro, der die Rechte der Indigenen Völker beschneiden und Amazonien den multinationalen Konzernen für eine weitere Zerstörungswelle überlassen will. Seine anti-indigene Einstellung ist allerdings verfassungswidrig. Wir werden mit allen Mitteln für Amazonien und die Rechte der Indios eintreten. Dabei zählen wir auch auf internationale Unterstützung. Die Synode wird sich mit dieser Thematik beschäftigen. Es geht um die Verteidigung Amazoniens gegen die skrupellose Ausbeutung und Zerstörung und der in der Verfassung verankerten Rechte der Indigenen Völker.
Kathpress: Am 12. Juli feiern sie Ihren 80. Geburtstag. Gibt es Wünsche?
Kräutler: Für mich persönlich wünsche ich mir nichts, aber für die Völker Amazoniens wünsche ich mir den Respekt vor ihrer Würde als Menschen und bessere Tage. Für die Amazonien-Synode wünsche ich mir, dass sich die an der Synode teilnehmenden Bischöfe das Wort des Papstes zu Herzen nehmen: "Seid mutig! Macht mutige Vorschläge!".
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Quelle: kathpress