Katholisch-Theologische Fakultät
25 Jahre theologisches Austauschprojekt "Sandiwaan"
Katholisch-Theologische Fakultät
25 Jahre theologisches Austauschprojekt "Sandiwaan"
Fast ist sie schon zur Floskel geronnen, die kirchliche Dokumente wie selbstverständlich anführen: die "Option für die Armen". Der lateinamerikanischen Befreiungstheologie fast schon enteignet, gehört sie zu jenem Stammvokabular, das Solidaritätsaufrufe und -bekenntnisse in vielen gerade europäischen kirchlichen Dokumenten wie selbstverständlich ziert. Zeitdiagnostisch sensible Theologinnen und Theologen begegnen dem mit einer gewissen Skepsis. Ist das nicht eine Art zweite - semantische - Kolonialisierung oder gar Enteignung, wenn die berechtigten Anliegen sozial Benachteiligter und Ausgegrenzter zu politisch weitgehend folgenlosen Floskeln nivelliert werden? Oder konkreter: Wie kann diese "Option für die Armen" heute in der Praxis tatsächlich gelingen?
Einen Antwortversuch auf diese Fragen stellt das Wiener theologische Austauschprogramm "Sandiwaan" dar, das heuer seit 25 Jahren besteht und zur Begegnung von Hunderten Theologie-Studierenden aus Wien und von den Philippinen geführt hat. Konkret beteiligt sind an dem Programm das auf den Philippinen angesiedelte "Inter-Congregational Theological Center" (ICTC) in Quezon City und der Fachbereich für Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Begründet wurde das "Sandiwaan"-Projekt 1994 von Veronika und Gunter Prüller-Jagenteufel, 2004-16 war Maria Katharina Moser mit verantwortlich. Zuletzt reisten acht Studierende der Wiener Fakultät im Februar dieses Jahres auf die Philippinen.
Ziel ist ein persönlicher Erfahrungsaustausch, der nicht ohne Folgen auch für die Theologie bleiben darf und kann: Ein beredtes Zeugnis davon gibt die philippinische "Theology of struggle" als eine Art weiterentwickelte Befreiungstheologie. In ihrem Zentrum steht nicht zuerst die theologische Reflexion sondern die Erfahrung der Solidarisierung: "'Church of the poor' bedeutet nicht, Almosen zu geben, sondern Seite an Seite den täglichen Überlebenskampf der scheinbar Ohnmächtigen zu teilen und von Lebensart und Mut der Filipinos zu lernen", heißt es auf der Projektwebsite https://st-theoethik-ktf.univie.ac.at/international/sandiwaan.
Konkret versteht sich die philippinische "Theology of struggle" als eine Form des Widerstandes "gegen den Neokolonialismus und damit die Vereinnahmung durch europäische Wahrnehmungs- und Denkkategorien", führte die Theologin und Exkursionsteilnehmerin Katharina Mairinger zuletzt in einem Beitrag auf dem theologischen Feuilleton-Portal "feinschwarz.net" aus (Beitrag: https://www.feinschwarz.net/praktisch-gedacht-philippinische-theology-of-struggle). Es gehe um eine stark erfahrungsgetränkte Theologie, die dazu auf die Methode der "Immersion" ("Eintauchen") setzt und für die europäische Theologie auf eine "praxeologische Wende" hinwirken möchte. Anders gesagt: Wer nur vollmundig über Befreiungstheologie spricht, nicht aber die Erfahrungen der Ausgrenzung und Armut teilt, versteht nicht nur nichts von einer "Option für die Armen" - er verrät sie letztlich sogar.
In dem Maße also, in dem die philippinische Theologie durch das konstruktive Aufgreifen postkolonialer Theorien und kritischer soziologischer und ökonomischer Analysen eminent politische Sprengkraft entwickelte, wurde sie von einer europäisch "gezähmten" Theologie eher ausgeblendet - auch weil befürchtet wurde, die Konzentration auf die "Kirche der Armen" könnte die gewohnten Strukturen in Politik, Wirtschaft und Kirche in Frage stellen. Durch die Methode der "Immersion" hingegen begebe sich die Theologie bewusst in die Spannungsfelder der Gesellschaft und nehme so erst tatsächlich die "Probleme der Marginalisierung" gleichsam "am eigenen Leib" wahr, so Mairinger in ihrem "feinschwarz"-Beitrag. Bleibe die Theologie indes bei einem bloßen "Sprechen 'von' den Armen, Bedrängten, Marginalisierten, ohne aber jemals 'mit' ihnen gesprochen zu haben, verliert sie ihre politische Unschuld".
Vor diesem Hintergrund besuchten 1994 die ersten acht Studierenden aus Wien die Philippinen - ein Jahr später, 1995, folgte der Gegenbesuch von zwei Studierenden und zwei in der pastoralen Ausbildung arbeitenden Mitgliedern des ICTC in Österreich. Dieser Austauschzyklus wurde seither alle vier Jahre mit jeweils bis zu 15 Studierende allein von der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät absolviert. Für jeweils vier Wochen leben und lernen die Studierenden in Österreich und auf den Philippinen, lernen Land und Leute und auch die jeweiligen theologischen Traditionen und Kulturen kennen. Geleitet wird das Austauschprogramm von Prof. Gunter Prüller-Jagenteufel. Der nächste Besuch philippinischer Theologiestudenten in Wien ist für den Juni 2020 vorgesehen.
Literaturhinweis: Moser, Maria Katharina/Prüller-Jagenteufel, Gunter/Prüller-Jagenteufel, Veronika: Gut(e) Theologie lernen. Nord-Süd-Begegnung als theologisches Lernfeld (Kommunikative Theologie 10), Ostfildern: Matthias-Grünewald 2009
Quelle: kathpress