Bischof Glettler: "Jesus hat immer die Mitte eingenommen"
Eine Lanze für die Mitte - in der Kirche wie in der Politik - hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler gebrochen. Er äußerte sich in einem aktuellen Interview mit dem Portal "Vatican News" zur politischen Situation in Österreich, zur Lage in der Diözese Innsbruck sowie zu seinen positiven wie schwierigen Erfahrungen damit, moderne Kunst in der Kirche zu etablieren. Glettler warnt darin etwa vor Versuchen, Solidarität und den Sozialstaat in Österreich zu unterminieren und versucht sich in einer Antwort, weshalb auch katholische Gläubige auf die einfachen Antworten von Rechtspopulisten hereinfallen. Das Interview wurde bereits beim jüngsten Besuch des Bischofs vor einigen Tagen in Rom geführt, also vor den Turbulenzen rund um das "Awakening Austria"-Event am Wochenende in Wien.
Er habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren in Tirol gut eingelebt, so der Bischof. Teilweise sei es für ihn aber doch auch überraschend gewesen, dass es in der Diözese Innsbruck so deutliche Spannungen zwischen Konservativen und Liberalen gibt. Man könne dies natürlich auch als "Pluralität" bezeichnen und die Kirche müsse "pluralitätsfit" werden, so Glettler:
Dass diese Spannung so deutlich ist, das hat mich schon auch überrascht, wenngleich ich versuche, beide Seiten zu verunsichern, also auf eine Mitte hin zu verunsichern. Für mich als Bischof ist es doch ein ganz wesentlicher Auftrag, für die Einheit da zu sein.
Es sei leichter, "sich auf eine Seite zu schlagen und zu wissen: Für die kirchlichen Herausforderungen und Probleme hat man sofort eine Lösung." Das höre man von einer sehr konservativen Seite sehr deutlich und von einer liberalen Seite auch sehr deutlich. Die Mitte sei hingegen eine anstrengende Position, die es auszuhalten gelte, so der Innsbrucker Bischof:
Wenn man auf Jesus schaut im Evangelium, er hat immer die Mitte eingenommen.
Glettler weiter: "Ich möchte beide Flügel verunsichern, um gemeinsam voranzugehen. Mein Motto heißt: Geht, heilt, verkündet! Das hat doch eine Richtung nach vorne. Das heißt, als Kirche auch zukunftsfit zu sein, sich auf Menschen unserer Zeit einzulassen, mit einer Zuversicht in die Zukunft zu gehen, möglichst nahe an den Menschen, möglichst nahe auch an den Entwicklungen, die da sind, die wir nicht aufhalten können."
Warnung vor politischer Verführung
Auf die politische Situation in Österreich angesprochen meinte Glettler grundsätzlich, dass die Zivilgesellschaft gut funktioniert, ebenso der Sozialstaat und das Gesundheitswesen. Er wolle das nicht krankreden. Aber:
Tatsächlich gab es Versuche, das zu unterwandern. Das heißt also, Menschen, die sozial schwächer gestellt sind, zu diskriminieren. Sozialleistungen infrage zu stellen. Die Erosion hat nicht stattgefunden. Trotzdem ist sehr große Vorsicht geboten.
Zur Bemerkung, dass auch katholische Gläubige wohl nicht davor gefeit sind, Rechtspopulisten zu wählen, meinte der Bischof: "Ja, es stimmt. Teilweise sind Gläubige anfällig für Verführungen von denen, die sagen, 'wir bieten euch eine strenge Form'." Es gehe sogar noch viel plumper, "wenn bei Veranstaltungen, wie der italienische Innenminister Matteo Salvini das getan hat, mit dem Kreuz herumfuchtelt oder mit dem Rosenkranz: Das ist wirklich Ködern auf sehr billigem Niveau. Darauf fallen leider einige hinein."
Das Kreuz sei kein politisches Signal, geschweige denn ein kulturelles Icon zur Abgrenzung von Andersgläubigen oder zur Verteidigung eines Landes, so der Bischof:
Man muss sagen: Bitte! Da haben wir aus der Geschichte deutliche Blutspuren und die wollen wir nicht wieder haben.
Jeder, "der innerlich gestärkt ist, dessen Seele genährt ist" und in einer guten Beziehung mit Jesus steht, sei weniger anfällig für solche Verführungen.
Der Bischof räumte eine gewisse "Pluralitätsmüdigkeit" in Österreich ein. "Das kommt daher, dass man ein Zuviel an Informationen hat, einer großen Zerstreuung ausgesetzt ist." Man könne die Informationen nicht mehr verarbeiten bzw. fühle sich angesichts der großen gesellschaftlichen Entwicklungen ohnmächtig. Glettler:
Diese Wirkungsohnmacht ist ein sehr wesentlicher Grund, warum Menschen dann denen Stimmen geben, die oft in frecher Manier, in einer unmenschlichen Weise sagen: Ich kann alles machen. Ich kann mir die größten Frechheiten und Entgleisungen leisten, aber ich bin euer Hero.
Dagegen helfe nur, den Menschen Gewissheit zu geben, "dass sie doch in ihrem Umfeld etwas gestalten können, dass ihre Stimme zählt", so Glettler: "Es geht wieder um Wahrnehmungen, das ist das Um und Auf. Wahrnehmen, anhören, hingehen, Gemeinschaft stiften, Begegnungen ermöglichen: Es wird immer dieser schöne, aber mühsame Weg sein."
Identitätsräume weiten
Die Angst vor dem Fremden, die im Moment Europa umtreibt, liegt laut Bischof Glettler tief im Menschen begründet:
Es hat teilweise damit zu tun, dass man den Identitätsraum zu eng abgrenzt. Das braucht Übung. Das gehört dazu. Wen meinen wir, wenn wir 'wir' sagen? Wer gehört zu unserer Gesellschaft? Wer sind die Anderen?
Das seien ganz wichtige Fragen, "dass man diesen Identitätsraum weitet durch Begegnung. Konkret: Durch Menschen, die man anhört oder besucht, in ihr Schicksal hineinhorcht, sich einfühlt." Das relativiere die Angst. Dazu komme:
In den meisten Gebieten dieser Erde sind wir die Fremden. Das heißt, wir wachsen als Menschheitsfamilie sowieso zusammen. Das alles aufzuhalten, kommt einem sehr verbitterten, verkrampften Versuch gleich, sich irgendwie von der Welt abzuschotten.
Zur Frage, wie die Menschen in Österreich Papst Franziskus wahrnehmen in seinem kompromisslosen Eintreten für die schwächsten Angehörigen der Gesellschaft, antwortete der Bischof: "Grundsätzlich positiv. Ich merke, dass Breiten der katholischen Kirche, aber auch der ganzen Gesellschaft, sehen, dass er so deutlich ein so humanes Gesicht zeigt. Er ist da eine geistliche Leitfigur weit über die katholische Kirche hinaus, eine Weltautorität momentan." Natürlich gebe es auch "Zirkel", die nicht alles mittragen. Aber:
Es geht nicht darum, ob der Papst so oder so ist, sondern, ob wir in der Spur Jesu bleiben und dem Evangelium treu sind. Das hat zu jeder Zeit große Herausforderungen gemacht.
Die Herzensweite des Papstes, seine Frische, seine geistige Aufgeschlossenheit und die Nähe, die er lebt, seien "prophetisch in einer Zeit, die gefühlsmäßig so auseinanderdriftet, wo man sich abgrenzt und meint, da ist man schon möglichst sicher für die Zukunft, wenn man möglichst viele Zäune und Absicherungen hat".
"Wenn man etwas lernen will ..."
Auf zeitgenössische Kunst im sakralen Raum angesprochen meinte der Innsbrucker Bischof, dass er so manche Kritik durchaus auch für berechtigt halte bzw. annehmen könne. Zugleich würde er den Tipp geben, sich einem vermeintlich schockierenden Kunstwerk im sakralen Raum einmal auszusetzen.
Wenn man etwas lernen will, dann muss man sich Dingen aussetzen, die einen mäßig, aber immerhin doch überfordern. Das heißt, auch zu einer weiteren und tieferen Sicht zu stimulieren. Das heißt nicht, alles herunterbrechen und hin diktieren auf das Tribunal des aktuellen Geschmacks, sondern mehr zulassen, als einem momentan verständlich ist. Das ist mein Tipp.
Wichtig sei ihm auch, dass zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler wieder den Eindruck haben, sie sind willkommen in der Kirche, man möchte mit Ihnen in einen ernsthaften Dialog treten, auch Aufträge geben. "Das Heilige braucht das Vitalste der Zeit. Nicht irgendwie einen Abklatsch, eine sterile Wiederholung alter Formen, das ist irgendwie lieblos", so der Bischof.
In ihren vitalsten Zeiten habe die Kirche den Dialog mit zeitgenössischer Kultur gesucht und sich auch befruchten lassen, erinnerte Glettler. "Diese Anschlussfähigkeit müssen wir wiedergewinnen. Das ist mein Ehrgeiz irgendwie und da versuche ich auch ein bisschen was zu investieren." In der zeitgenössischen Kunst, die eine vielfältige Palette hat, gehe es mehr um Prozesse auch des Nachdenkens, aber auch der Humanisierung oder der Transformation von Gesellschaft.
Er sage jedenfalls auch immer "Vorsicht!", wenn man zu schnell von der Verletzung religiöser Gefühle spricht, so der Bischof weiter. Denn:
Wirklich beleidigt wird Gott, wenn wir ihn nicht ernstnehmen, nicht mit ihm ringen, ihn auch vielleicht nicht anklagen, einfach nicht mehr wahrnehmen und auch seine Repräsentation in dieser Welt in jedem Menschen und vor allem in den Ärmsten. Wenn wir das nicht wahrnehmen, das ist Blasphemie.
Bei der Rede von der "Beleidigung der religiösen Gefühle" habe er, so Glettler, immer den Verdacht, "da schreit man ein bisschen schnell, wenngleich man achtsam sein soll". Es brauche vor allem auch im interreligiösen Dialog diese Achtsamkeit und "die können wir natürlich auch als Christen einfordern".
Quelle: kathpress