Kontroverse um jüngstes Gender-Dokument des Vatikan geht weiter
In Rom kann man die Debatte um das jüngst vorgestellten Vatikan-Dokument zum Thema Gender-Theorie "nicht nachvollziehen". Das erklärte Friedrich Bechina, Untersekretär der Bildungskongregation, gegenüber "Kathpress". Es sei weder die Aufgabe der Bildungskongregation noch Anliegen des Schreibens, die Gender-Frage zu klären, meinte der aus Österreich stammende Bildungs-Experte. Positive Worte für das am Pfingstmontag veröffentlichte Schreiben "Maschio e femmina li creo" ("Männlich und weiblich hat er sie erschaffen") fand Andrea Pinz, Leiterin des Schulamtes der Erzdiözese Wien, in der Ö1-Sendung "Religion aktuell" schon am Dienstag. "Das Dokument verurteilt nicht und klagt nicht an, sondern wirbt schon im Titel um Dialog", so Pinz in der Radiosendung.
Ziel des Dokuments, das am Pfingstmontag veröffentlicht wurde, sei es gewesen auf Anfragen katholischer Schulen, Universitäten und Bischofskonferenzen zu reagieren, erläuterte Bechina die Hintergründe des Dokuments. Vor allem katholische Schulen würden sich teilweise unter Druck gesetzt fühlten oder hätten den "Vorwurf eines ideologischen Kolonialismus" vorgebracht.
Die Spannung rund um den Vatikan-Text - der sich "auf dem Weg eines Dialogs zur Frage der Gender-Theorie in der Erziehung" verstand - müsse die Kirche nun "aushalten", ergänze Bechina. Kritik am jüngsten Dokument habe es auch von anderer Seite gegeben, wo man das Dialogangebot des Vatikans für zu liberal halte.
Keinen Widerspruch zwischen "christlicher Profilbildung" katholischer Schulen und offiziellen Vorgaben des Bildungsministeriums sieht die kirchliche Schulverantwortliche Pinz. Sie verwies beim Thema Gender auf den im Jahr 2018 neu überarbeiteten Erlass des Bildungsministerium zum Thema Gender und Gleichstellung, der den Begriff "soziales Geschlecht" aufnahm und einen differenzierten Umgang damit forderte. Für die katholischen Privatschulen gelten in Österreich "selbstverständlich die staatlichen Vorgaben", meinte Pinz dazu.
Positiv bewertete Pinz die Forderung des Dokuments die "Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Menschen" zu respektieren. Gleichzeitig sei aber klar, dass das vatikanische Dokument das christliche Menschenbild fördern wolle nach dem der Mensch als Mann oder Frau geschaffen worden sei, betonte Pinz.
Zulehner: Mangel an Relevanz
Der emeritierte Pastoraltheologe Paul Zulehner attestierte dem Dokument in einem aktuellen Blogeintrag (https://zulehner.wordpress.com) einen Mangel an Relevanz: "Für das Alltagsleben von 80% oder auch mehr unserer Bevölkerungen ist es ein belangloses Dokument". Hauptkritikpunkt des Wiener Theologen ist die Fokussierung des Dokuments auf einen "biologistischen Ansatz", wie Zulehner schrieb.
Die Kritik des Textes an einem "wahrer Bildungsnotstand" oder einer "Manipulation des Körpers nach Belieben" sei zu kurz gegriffen, so der Wiener Pastoraltheologen. Denn das Dokument kritisiere zwar eine "Genderideologie", erkläre aber nicht was oder wer damit gemeint sei, meinte Zulehner. Auch der Wiener Moraltheologe Prof. Gerhard Marschütz hielt gegenüber "Kathpress" fest, dass das Dokument weite Felder der Genderforschung auslasse.
Eine negative Beurteilung des Gender-Dokuments kam auch von Seiten des US-amerikanischen Jesuit und Buchautors James Martin, der in der Seelsorge mit homosexuellen Menschen engagiert ist und unter Papst Franziskus 2017 als Berater in den Vatikan berufen wurde. Martin erwartet als kurzfristigen Effekt des Textes eine "Munitionierung von Katholiken, die die Wirklichkeit einer Transgender-Erfahrung leugnen und solche Menschen als Ideologen" abqualifizieren. Es sei eben nicht so wie behauptet, dass Gender-Theorien eine willkürliche Aneignung oder Zusprechung geschlechtlicher Identität verträten. Vielmehr gehe es um Erfahrungen von Betroffenen, so der Jesuit und Theologe.
Quelle: kathpress