Ibiza-Videos eröffnen der Politik Chancen auf "Heilung"
Die auf Ibiza aufgenommenen Videos, die der türkis-blauen Regierung im Mai ein jähes Ende bereiteten, könnten nach den Worten des Theologen Paul Zulehner einen notwendigen Heilungsprozess für Österreichs Politik in Gang setzen: Ziel müsste es sein, "eine Kultur des Machterwerbs zu entwickeln, die nicht auf Angst beruht, sondern auf der Überzeugung, die jeweils überzeugendere Ideen für das Land, für Europa, für die Welt zu haben". Weiters könne nun durch rasches Mitwirken aller dafür gesorgt werden, "dass eine redliche politische Kultur so gefestigt wird, dass in Zukunft Verstöße dagegen weniger Chance haben". Eintreten solle ein ähnlicher Effekt wie beim Burgenländischen Glykol-Wein-Skandal, dessen Aufarbeitung die heute sehr gute Qualität des Österreichischen Weines bewirkt habe.
Zulehner äußerte sich am Samstagabend im steirischen Weiz, wo er im Rahmen des Pfingsttreffens Impulse für eine "politische Meditation" lieferte. Die im Video gezeigten Politiker selbst, sowie die in "mutmaßlich guter Absicht" beteiligten Erzeuger des Videos hätten aufgedeckt, "dass das durchaus legitime Ringen um politische Macht zu unlauteren und unakzeptablen Mitteln führen kann", befand der emeritierte Universitätsprofessor. Deutlich zum Vorschein gekommen sei die alle wahlwerbende Parteien betreffende "Urversuchung, beim Streben nach Wählerstimmen nicht immer redlich und transparent die demokratisch zulässigen Mittel einzusetzen". Deren Folgen seien dramatisch, nämlich die "Verwundung des politischen Lebens" sowie auch der "Würde, Glaubwürdigkeit und politischen Autorität" jener Politiker, die politische Begabung fahrlässig aufs Spiel setzten.
Hinter fragwürdigen Machtstrategien und dem Griff zu unlauteren Mitteln stehe die "Angst, mit redlichen Mitteln nicht jene Anzahl an Wählern zu gewinnen, die man für das Durchsetzen der eigenen Ziele braucht", analysierte Zulehner. In Richtung der sich in den Videos unfreiwillig geouteten FPÖ-Politiker warnte der Theologe davor, sich nun aus Sorge um die eigene Reputation "in ein angestrengtes 'Jetzt erst recht!' zu verlaufen": Dabei würde man die "Chance" verspielen, "in den eigenen Spiegel zu schauen und nach einer glaubhaften Veränderung der ans Licht gebrachten Haltungen zu streben". Vielmehr liege es in der Hand der Dargestellten, nun einen "Prozess der Heilung" in Gang zu setzen. Sie sollten dafür einen "Raum der Achtung und des Respekts" zugestanden bekommen, da sonst Ängste und negative Haltungen verstärkt würden.
Die Heilung schändlicher Haltungen sei eine Form des Wirkens von Gottes Geist, so die Deutung des Theologen zum Pfingstfest. Zulehner verwies zudem darauf, dass Gott auch die dunklen Seiten der Weltgeschichte in die Entwicklung integriere und negative Absichten und Handlungen, die seine Pläne "durchkreuzten", zu etwas Gutem wandeln könne.
Erneuerung der Kirche
Zulehner war auch Hauptzelebrant des Gottesdienstes in der Weizer Wallfahrtskirche am Pfingstsonntag, dem spirituellen Höhepunkt des seit 1989 jährlich stattfindenden "Weizer Pfingstereignisses". In Zeiten von Stagnation und Skandalen in der weiteren Kirche im Land und in der Weltkirche habe man in Weiz "ganz lokal den Geist des Aufbruchs spüren" können, würdigte Zulehner die Strahlkraft des Treffens in seiner nunmehr 30-jährigen Geschichte. Die Pfingstreffen hätten bei den Teilnehmern "tiefe spirituelle Erfahrungen" hinterlassen und dazu geführt, "dass aus der Kraft der Mystik der Einsatz für eine gerechtere Welt wurde". Das deutlichste Ergebnis sei das Entstehen der "Solidarregion Weiz", die eine "Verwebung von Mystik und Politik, Kontemplation und Aktion, oder um es einfach mit Jesus zu sagen: Gottes- und Nächstenliebe" sei.
Der Pastoraltheologe erkannte eine "Verwandtschaft" zwischen Weiz und der "neuen Pastoralkultur von Papst Franziskus", für welche die Basilika-Erhebung der Weizer Kirche ein Hinweis sei: Die Weltkirche erfahre unter ihrem Oberhirten aus Lateinamerika ein "neues Pfingsten" und sei auch Dank ihm inmitten einer Stagnation vom "Wehen des Geistes" erfasst worden.
Als ein Indiz dafür führte Zulehner die im Herbst anstehende Amazonien-Synode an: Bei dieser werde es neben Umwelt- und Indigenenschutz auch um das Problem des dramatischen Priestermangels in Brasilien gehen, und um Vorschläge für die Weihe von verheirateten gemeindeerfahrenen Personen ("Viri probati"). Zulehner:
Das Ende des Priestermangels ist nahe. Es nimmt seinen Ausgang nicht in Rom, sondern im Regenwald Amazoniens und wird von dort her all jene Kirchengebiete erfassen, welche unter einem eucharistischen Hunger leiden. Die Kirche wird sich synodal erneuern, dermal nicht von Rom ausgehend, sondern von den Orten der Not und des Mutes.
Geheimnisvolle Evolutionskraft
Den Heiligen Geist umschrieb Zulehner als "geheime Evolutionskraft", die "vom Big Bang an im Innersten der Welt am Werk ist" und die Entwicklung auf einen Zustand der Vollendung hinführe. Die Kraft der innersten Bewegung der Entwicklung werde von Neurowissenschaftlern als "Resonanz" beschrieben, von Mystikern als "Liebe", wobei Theologen den "liebenden Gott selbst" als deren Quelle ansähen. Gott ziele auf die "liebende Verbundenheit" mit den Menschen ab und auf die Erlösung nicht einiger moralisch Perfekten, sondern der ganzen Welt. Der Heilige Geist sei die entscheidende Hilfe, um "das Antlitz der Erde zu erneuern - und zwar dieser Erde", erinnerte Zulehner an ein Zitat von Johannes Paul II. 1979 in Polen, der dabei mit dem Fuß auf die polnische Erde gestampft hatte.
Die von Zulehner als "Jesusbewegung" bezeichneten Kirche müsse dazu beitragen, "dass jetzt schon der Himmel zu uns kommt - in Spuren wenigstens". Dies sei dann der Fall, "wenn wir die Natur verschonen, wenn weniger Arten aussterben, der Regenwald nicht zerstört wird, ihre eigenen Kinder auch hier in der Oststeiermark noch eine Welt vorfinden, in der sie in Würde leben können". Auch Gerechtigkeit wäre "ein wenig mehr Himmel auf Erden", sagte Zulehner, der hier auf globale Ungleichgewichte, Krisenstaaten oder das Schicksal der Flüchtlinge verwies. Christen stünden bei ihrem Einsatz auf diesen Gebieten Seite an Seite mit anderen "Menschen guten Willens" und sollten die heutigen "Propheten" erkennen. Als solche bezeichnete Zulehner die junge Klimaaktivitin Greta Thunberg, die wie sie handelnden "endlich revolutionären Schülern", jedoch auch den "Weizer Pfingstvision"-Initiator Fery Berger. (Infos: www.pfingstvision.at)
Quelle: kathpress