Fischler: EU braucht Strukturreform, um handlungsfähig zu bleiben
Wenn die Europawahl etwas verdeutlicht hat, dann die Notwendigkeit, dass es auf europäischer Ebene Strukturreformen braucht, damit die EU langfristig handlungsfähig bleibt. Das hat der frühere EU-Kommissar und Präsident des europäischen Forums Alpbach, Franz Fischler, bei einem Podiumsgespräch am Donnerstagabend in Wien betont. Das "ewige Gezänk über Belanglosigkeiten" müsse überwunden werden zugunsten einer wieder stärker am Gemeinwohl orientierten Politik. Sorge würden ihm aktuell die "immer nationalistischer agierenden Mitgliedsstaaten" bereiten. Dies behindere eine gesamteuropäische Entwicklung. Ein Weg aus der Misere wäre laut Fischler etwa, das Einstimmigkeitsprinzip auf EU-Ebene aufzugeben.
Fischler diskutierte am Donnerstagabend im Wiener Otto-Mauer-Zentrum auf Einladung des "Forum Zeit und Glaube" des Katholischen Akademiker/innenverbandes Wien mit dem katholischen Journalisten und Leiter des "Chronik"-Ressorts beim "Kurier", Martin Gebhart, zum Thema "Wie weiter mit der EU?".
Ein Mehr an nationalstaatlichen Alleingängen sei politisch nicht zukunftsträchtig, so Fischler weiter, da die großen Herausforderungen wie der Klimawandel, die Digitalisierung oder die zunehmende gesellschaftliche Segregation nicht nationalstaatlich allein beantwortet werden könnten. Dies alles verlange nach europäischen, wenn nicht gar weltweit koordinierten Antworten, so Fischler: "Für all diese Probleme brauche ich einen europäischen, wenn nicht einen globalen Verbund".
Regierungen wie jene Ungarns oder Polens würden hingegen ständig austesten, wie weit sie sich vom gemeinschaftlichen Gedanken entfernen können, ohne ein Verfahren gegen sie zu riskieren. Selbst europäische Gründerstaaten wie Italien interessiere mittlerweile kaum mehr die Teilhabe an gemeinschaftlichen Problemlösungsstrategien: "Das gipfelt darin, dass Herr Salvini den Menschen in Italien erzählt, die EU ist eine Cashmaschine, ein Bankomat, wo es Geld gibt", so Fischler.
Als drängende aktuelle Probleme bezeichnete Fischler die Frage nach einem künftigen EU-Budget, aber auch die Frage, welche Strategie die EU in Fragen der Nachhaltigkeit über das Jahr 2020 hinaus verfolge - dann nämlich laufe die bisherige Europa-Strategie 2020 - eine europäische Agenda für Wachstum und Beschäftigung in der EU - aus. Unklar sei außerdem, wie die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG), zu denen sich die EU verpflichtet hat, erreicht werden sollen. "Bis jetzt gibt es null Plan, was die Strategie ab 2020 sein soll", kritisierte Fischler.
Darüber hinaus sprach sich der frühere EU-Kommissar für eine Reform des europäischen Wahlrechts aus: Es brauche ein solches, einheitliches europäisches Wahlrecht, um die bisher vor allem nationalstaatlich fokussierten Wahlkämpfe auf ein europäisches Niveau zu heben. Entschieden ist Fischler jedoch gegen ein Projekt, wie es mit den "Vereinigten Staaten von Europa" bezeichnet wird: "Wenn man sie wie die Vereinigten Staaten von Amerika versteht, dann sind sie ein Unsinn", so Fischler. Einen "Zentralstaat Europa" wolle niemand.
Gemeinsames Auftreten gegenüber Russland, China und USA
Mit Blick auf die internationalen Beziehungen der EU forderte Fischler ein gemeinsames europäisches Auftreten gegenüber Russland und China. Was Afrika beträfe, so bedauerte er die Reste eines kolonialen Denkens in Europa und schlug vor, Universitäten und andere Kräfte vor Ort zu stärken, die den Kontinent weiterbringen könnten. Im Umgang mit den USA vermisst er ein selbstbewussteres europäisches Auftreten.
Trotz der vielen Herausforderungen mache er sich grundsätzlich keine Sorgen, dass die EU völlig auseinanderfallen werde, sagte Fischler zum Abschluss. Vermutlich werde es in 15 Jahren zwei Arten von EU geben: Jene Staaten, die auch eine gemeinschaftliche Außen- und Sicherheitspolitik betreiben wollen, und jene viel größere Gruppe an Mitgliedstaaten, die "nur" eine wirtschaftliche Zusammenarbeit anstreben - ein Konzept, das bereits seit einigen Jahren unter dem Schlagwort "Kerneuropa" diskutiert wird.
Quelle: kathpress