Journalisten nach "Ibiza-Gate"
"Wir fürchten uns nicht mehr!"
Journalisten nach "Ibiza-Gate"
"Wir fürchten uns nicht mehr!"
Eine journalistische "Aufbruchsstimmung" in Folge der Veröffentlichung des Ibiza-Videos, welches zum Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition geführt hat, haben Journalisten und Medienschaffende in Österreich konstatiert: Nach der inzwischen mit dem Schlagwort "Ibiza-Gate" bezeichneten Affäre rund um Vizekanzler Heinz-Christian Strache und den früheren geschäftsführenden Klubobmann der FPÖ, Johann Gudenus, bestehe die Chance für den seriösen Journalismus, sich aus den Fängen der "Message Control" durch die Regierung zu befreien und Einschüchterungsversuche seitens der Politik mutig abzuwehren. Das betonte "Kurier"-Herausgeber Helmut Brandstätter bei einer Podiumsdiskussion am Freitagabend in Wien. "Wir fürchten uns nicht mehr!", brachte er seine Hoffnung dabei auf den Punkt.
Brandstätter äußerte sich bei einer Diskussion zum Thema "Die Rolle der Medien für die Demokratie", die im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" im Wiener Club Stephansplatz 4 stattfand. Mit Brandstätter diskutierten die Präsidentin von "Reporter ohne Grenzen", Rubina Möhring, und "Furche"-Chefredakteur Rudolf Mitlöhner. Moderiert wurde die Veranstaltung von "Kathpress"-Chefredakteur Paul Wuthe. Tatsächlich habe er in seinem Berufsleben eine derartige Politik der Einschüchterung von Journalisten und den Versuch seitens der Regierung, Kommunikation zu kontrollieren noch nicht erlebt, führte Brandstätter aus. Zudem würden die Grenzen zwischen PR, Social Media und Journalismus heute zunehmend aufgeweicht und der Druck in der Branche sei zugleich enorm gestiegen, so dass es immer schwieriger werde, als Journalist zu bestehen.
An das Leitungspersonal und die Chefredaktionen appellierte Brandstätter daher, sich bei wachsenden Begehrlichkeiten seitens der Politik oder direkter, unverfrorener Drohkulisse schützend vor die Journalisten zu stellen. Speziell seitens der FPÖ ortete Brandstätter eine "generelle Verachtung für unseren Berufsstand" und mangelnde Wertschätzung - dagegen gelte es, sich zur Wehr zu setzen. Konkret rief der "Kurier"-Herausgeber dazu auf, die aktuelle Situation zu nutzen, um in einem solidarischen Schulterschluss unter den Journalisten des Landes auf ein Informationsfreiheitsgesetz zu drängen und die Medienförderung auf neue Beine zu stellen und deutlich zu erhöhen.
Mitlöhner: "Absage an moralische Überlegenheitspose"
Zu einer Rückbesinnung auf das journalistische Ethos und zu einer "selbstkritischen Absage an jede Form moralischer Überlegenheitspose" rief der "Furche"-Chefredakteur Rudolf Mitlöhner auf. "Unsere Branche neigt zum Selbstreferentiellen: Wir klopfen uns gegenseitig auf die Schultern und suchen wechselseitige Bestätigung". Die aktuelle Situation böte nun die Chance, sich wieder stärker auf das eigentliche Geschäft zu konzentrieren und deutlicher die Trennlinien zwischen Journalismus und PR zu ziehen. Schließlich stehe die Medienlandschaft mitten in einem "dramatischen Wandel", verwies Mitlöhner ebenfalls auf die enorme Beschleunigung des Journalismus sowie die Vervielfältigung der Kanäle nicht zuletzt durch Social Media. Als Wochenzeitungsjournalist verwies Mitlöhner weiters darauf, dass Journalismus und auch die Demokratie in gleicher Weise auf "Phasen der Reflexion" angewiesen seien. Auch wenn es in einer enorm beschleunigten Medienlandschaft "utopisch ist, zu sagen 'Runter vom Gas'", so brauche es doch Orte und Räume wie etwa Wochenzeitungen, die sich dieser Geschwindigkeit bewusst entzögen, um grundsätzlicher an die Themen heranzugehen. Die Berichterstattungen rund um die "Ibiza-Gate"-Affäre erachtete Mitlöhner dennoch als "Sternstunde des Journalismus", insofern "alle mehr gelesen, gesurft und Medien konsumiert haben".
Möhring: "Die Atmosphäre hat sich verändert"
Die Präsidentin von "Reporter ohne Grenzen", Rubina Möhring, rief anhand zahlreicher Beispiele in Erinnerung, wie sehr sich die Situation der Pressefreiheit in Österreich seit Beginn der ÖVP-FPÖ-Regierung verschlechtert habe. Das Abrutschen Österreichs von Platz 11 auf Platz 16 des internationalen Pressefreiheits-Rankings bezeuge dies eindrucksvoll und zeige, "dass hierzulande manches nicht in Ordnung ist". Journalisten würden bedroht oder der Lüge bezichtigt und denunziert - dies habe dazu geführt, dass sich "die Atmosphäre verändert" habe und es schwieriger werde für Journalisten, "Rückgrat zu zeigen". Nun jedoch sei es mit dem Ende der Koalition auch an der Zeit, dass Journalisten medienübergreifend Solidarität zeigten und der Politik stärker aufzeigten, "dass es so nicht weitergehen kann", so Möhring.
Als beunruhigend bezeichnete Möhring einen prinzipiellen Bedeutungswandel der Medien - weg von der "vierten Gewalt" im Land hin zu einer "bloßen Handelsware", in der Posten und Funktionen nicht nach professionellen Kriterien sondern nach persönlicher Nähe oder Parteibuch vergeben würden. Ein mögliches Gegenmittel könnte eine forcierte Medienbildung in den Schulen sein, so die Präsidentin von "Reporter ohne Grenzen". Ziel müsse dabei nicht die technische Handhabung von Medien sein, sondern vielmehr der Umgang und die Beurteilung medialer Inhalte. Nur so würden mündige Bürger entstehen, die sich später auch kritisch der Medien bedienen könnten.
Quelle: Kathpress