Theologen diskutieren katholische Konzepte der Moderne
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) gilt theologiegeschichtlich als Meilenstein, da es ein "aggiornamento", also eine Öffnung der Kirche zur Welt hin vollzog. In dem Sinne werden alle Theologien, die sich auf das Konzil berufen, als "modern" tituliert. Doch damit wird gerne überdeckt, dass es zahlreiche Vorläufer in Form von "Reformtheologien" bereits in der Zwischenkriegszeit und auch in den Jahrzehnten zuvor gegeben hat. Was also meint "Moderne" aus katholischer Perspektive? Gibt es ein Narrativ, das sich theologie- und ideengeschichtlich klar fassen lässt? Solche Fragen stehen im Fokus einer Fachtagung, die derzeit an der Universität Wien stattfindet und die prominente Referenten wie etwa Friedrich Wilhelm Graf, Magnus Striet, Georg Essen und Thomas Ruster versammelt.
Indem man die unter dem Tagungstitel "Die Ambivalenz der Moderne" die reformtheologischen Bemühungen der Jahre zwischen 1919 und 1933 bewusst ins Zentrum rücke, wolle man zugleich "die Lücke zwischen Modernismus- und Konzilsforschung" schließen, führte Prof. Jan-Heiner Tück zur Eröffnung aus. Tück ist Sprecher des an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien bestehenden und die Tagung ausrichtenden Forschungsschwerpunktes "Christliche Identität in der Moderne". Es wäre ebenso verkürzt, diese Zeit theologiegeschichtlich unter dem Label der "Krise" zu verhandeln, als auch, sie allzu streng von theologischen wie gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts abzugrenzen.
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Vortrag des emeritierten Münchener evangelischen Theologen Prof. Friedrich Wilhelm Graf. Darin appellierte Graf an die katholischen Fachkollegen, die Erforschung dessen, was Moderne aus katholischer Sicht bedeutet, nicht allein auf das schmale Zeitfenster der Zwischenkriegszeit zu begrenzen, sondern auch auf das auslaufende 19. Jahrhundert auszudehnen. Schließlich habe gerade in dieser Zeit das Entstehen vielfältiger Formen von Öffentlichkeit und das Aufkommen einer neuen, akademisch gestützten kritischen Zeitdiagnostik zu einer "enormen Beschleunigung und Pluralisierung von Weltdeutungen" geführt - laut Graf wesentliche Momente von Modernität.
Weiters mahnte Graf zu einer breiten sozialgeschichtlichen Forschung: Eine Fokussierung der Fragen allein aus katholisch-theologischer Perspektive werde heutigen wissenschaftlichen Standards kaum mehr gerecht. Eine katholische Annäherung an die Reformtheologie müsse daher auch stets nach tatsächlicher öffentlicher Relevanz und kulturellen Adaptierungen theologischer Ideen fragen.
Über das "Spannungsfeld von normativem und deskriptivem Modernebegriff" referierte anschließend der Freiburger Fundamentaltheologe Prof. Magnus Striet. Dieser rekonstruierte die Genese eines Modernitätsbegriffs vor dem Hintergrund philosophischer Freiheitskonzepte, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Der für die katholische Theologie der Gegenwart zu diagnostizierende "Zusammenbruch" im Blick auf ihre Relevanz und Geltung wurzle laut Striet letztlich in der Unfähigkeit, theologisch adäquat auf die Erschütterungen, die das Freiheitsdenken ausgelöst hätten, zu reagieren.
Theologische Versuche, Komplexität zu reduzieren und sich auf den vermeintlich festen Boden von Wahrheitsbegriffen zurückzuziehen, seien letztlich nur Symptome einer tiefen theologischen Krise. Es gebe jedoch keinen normativen Anspruch mehr, der sich vorbei an der kulturellen bzw. geschichtlichen Gerinnung aufrecht erhalten lasse, sprich: Wenn man einmal in Folge des Freiheitsdenkens auf die völlige Freiheit Gottes schließe, so führe dies zu einer Erschütterung all jener Vorstellungen eines klar auszumachenden göttlichen Willens, auf denen auch kirchliche Strukturen bis heute aufgebaut seien. "Dies markiert jene Erschütterung, die den Katholizismus heute zerlegt", so Striet.
Quelle: kathpress